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Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)

Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)

Titel: Rum Diary: Roman zum Film (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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Grenze zwischen Geschäft und Betrug bereits aus den Augen verloren hatte. Wenn jemand ein Grundstück für ein neues Hotel brauchte, wenn Unstimmigkeiten auf höchster Ebene die Regierung erschütterten oder sonst irgendein bedeutendes Ereignis bevorstand –
Sanderson wußte normalerweise mehr darüber als der Gouverneur.
    Das aber faszinierte mich auch. Ich war immer nur ein Beobachter gewesen, jemand, der irgendwo ankam und für ein kleines Honorar hastig ein paar Fragen stellte und aufschrieb, was er sah und was er herausfand. Wenn ich Sanderson zuhörte, fühlte ich mich kurz vor dem entscheidenden Durchbruch. Angesichts des Wirbels von Boom und Wundertüten-Moral spürte ich zum ersten Mal in meinem Leben, daß ich eine Chance haben könnte, den Lauf der Dinge zu verändern – und sie nicht nur zu beobachten. Vielleicht würde ich sogar reich werden. Das schien, weiß Gott, einfach genug zu sein. Ich dachte lange darüber nach, aber sprach mit niemandem darüber, und ich begann in allem, was passierte, eine neue Dimension zu sehen.

5
    DAS APARTMENT VON SALA in der Calle Tetuán war eine feuchte Grotte in den Eingeweiden der Altstadt, gemütlich wie eine Gruft. Die Gegend erinnerte mich an einen Handballplatz irgendeiner stinkenden Young Men’s Christian Association . Sanderson mied das Viertel, Zimburger nannte es eine Kloake.
    Die Zimmerdecke war sehr hoch. Kein Hauch von frischer Luft. Keine Möbel, bis auf zwei Klappbetten aus Metall und einem Camping-Tisch. Weil das Apartment im Parterre lag, konnten wir die Fenster nicht öffnen – irgendwelche Diebe wären sonst direkt von der Straße aus eingestiegen und hätten die Wohnung leergeräumt. Eine Woche, nachdem Sala eingezogen war, hatte er eines der Fenster offen gelassen, und alles, was er besaß, war ihm gestohlen worden – selbst Schuhe und schmutzige Socken.
    Da es keinen Kühlschrank gab, hatten wir kein Eis und mußten warmen Rum aus dreckigen Gläsern trinken. Kein Wunder, daß Sala nichts dagegen hatte, die Wohnung zu teilen – wir gingen nur nach Hause, um zu schlafen oder um uns umzuziehen. Ich saß jede Nacht bei Al herum und trank, bis ich nichts mehr spürte; die Vorstellung, zurück ins Apartment zu gehen, war schwer zu ertragen.
    Nach einer Woche hatte ich mir einen ziemlich regelmäßigen Tagesablauf angewöhnt. Ich schlief bis ungefähr zehn, je nachdem, wie laut es auf der Straße war. Dann duschte ich und ging hinauf zu Al’s zum Frühstücken.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen dauerte ein normaler Arbeitstag in der Redaktion von mittags bis acht Uhr abends, und nach Feierabend gingen wir zu Al zum Essen. Danach kamen die Casinos dran oder wir gingen auf eine Party – oder blieben bei Al sitzen und erzählten uns unsere Geschichten, bis wir betrunken waren und vor uns hin murmelnd ins Bett gingen. Manchmal hing ich auch bei Sanderson herum, auch dort waren meistens Leute, mit denen man trinken konnte. Bis auf Segarra und dem gierigen Zimburger kam fast jeder, der bei Sanderson war, aus New York, Miami oder von den Virgin Islands. Immer gab es jemanden, der etwas bauen, kaufen oder abstoßen wollte, und jetzt, wo ich zurückblicke, erinnere ich mich an keinen einzigen Namen und kein einziges Gesicht der vielleicht hundert Leute, denen ich dort begegnet war. Es war keine einzige unverwechselbare Menschenseele darunter, aber die Atmosphäre war angenehm und eine willkommene Abwechslung zu den trostlosen Nächten bei Al.
    An einem Montagmorgen weckte mich ein Geräusch, das sich so anhörte, als würden direkt hinter dem Fenster Kinder geschlachtet werden. Ich spähte durch ein Loch im Fensterladen und sah ungefähr fünfzehn kleine Puertoricaner, die auf dem Gehsteig tanzten und einen dreibeinigen Hund quälten. Ich verfluchte sie und ging um so schneller zu Al’s zum Frühstücken.
    Chenault war da. Sie saß allein im Hof und las in einer abgegriffenen Ausgabe von Lady Chatterleys Liebhaber . Ich fand, daß sie sehr jung und hübsch aussah. Sie trug ein weißes Kleid und Sandalen; ihre Haare fielen ihr offen über den Rücken. Als ich an ihren Tisch kam und mich zu ihr setzte, lächelte sie.
    »Schon so früh unterwegs?« sagte ich.
    Sie klappte das Buch zu. »Ach, Fritz mußte irgendwohin, um eine Geschichte fertig zu machen, an der er gerade dran ist. Und ich muß Traveller-Schecks wechseln und warte nur, bis die Bank aufmacht.«
    »Welcher Fritz?« fragte ich.
    Sie sah mich an, als wäre ich nicht ganz da.
    »Yeamon?«

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