Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
das Ganze durch Yeamons irre Antworten den Beigeschmack von etwas Unheimlichem und von Gewalt bekommen.
Lotterman starrte ihn einen Augenblick an und sah noch nervöser aus als zuvor, dann drehte er sich um und ging in sein Büro.
Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück, grinste Yeamon an und hörte dann, wie Lotterman meinen Namen brüllte. Ich spreizte demonstrativ die Hände, dann stand ich langsam auf und ging in sein Büro.
Er saß über seinen Schreibtisch gebeugt und fummelte an einem Baseball herum, den er als Briefbeschwerer benutzte. »Sehen Sie sich das an«, sagte er. »Sagen Sie mir, ob Sie glauben, daß es sich lohnt, das hier zu kürzen.« Er gab mir einen Stapel Papier, und mir war klar, daß das die Geschichte von Yeamon sein mußte.
»Ich schätze schon«, sagte ich. »Soll ich sie kürzen?«
»Genau«, antwortete er. »Und erzählen Sie mir keine Scheiße. Lesen Sie erst und sagen Sie mir dann, was Sie daraus machen können.«
Ich nahm den Packen Papier mit an meinen Schreibtisch und las die Geschichte zwei Mal. Nach dem ersten Mal wußte ich genau, warum Segarra den Text unbrauchbar genannt hatte. Das meiste waren Gespräche mit Puertoricanern am Flughafen, die erzählten, warum sie nach New York gingen, was sie sich erhofften und was sie über das Leben dachten, das sie hinter sich ließen.
Beim ersten Überfliegen war es ziemlich langweiliges Zeugs. Die meisten der Leute wirkten ahnungslos und naiv – sie hatten die Reiseprospekte und die Rum-Reklame nicht gelesen, wußten nichts vom Boom und wollten einfach nur nach New York. Es war ein trostloses Dokument. Doch als ich zu Ende gelesen hatte, gab es für mich keinen Zweifel mehr, warum diese Menschen weggingen. Nicht, daß ihre Gründe einen Sinn ergaben, aber dennoch waren es Gründe – einfache, in menschlichen Köpfen erdachte Aussagen, die ich niemals verstehen konnte, weil ich in St. Louis in einem Haus mit zwei Toiletten aufgewachsen und weil ich zu Football-Spielen gegangen war und zu Gin-Jug-Parties und in die Tanzschule, und weil ich eine ganze Menge Dinge getan hatte – nur Puertoricaner war ich nie.
Schließlich kam ich auf den Gedanken, daß der wahre Grund, warum diese Leute ihre Insel verließen, im Wesentlichen der gleiche war, weswegen ich aus St. Louis abgehauen war, mein Studium abgebrochen und all die Dinge zum Teufel gewünscht hatte, die man von mir erwartete, zu denen ich verpflichtet war, die ich unter allen Umständen zu verteidigen hatte. Und ich fragte mich, wie ich wohl selbst geklungen hätte, wenn mich jemand am
Tag meiner Abreise nach New York am Lambert-Flughafen interviewt hätte – als ich dastand mit zwei Koffern in der Hand, dreihundert Dollar und einem Umschlag mit meinen bisherigen Artikeln für eine Army-Zeitung.
»Sagen Sie, Mr. Kemp, warum wollen Sie eigentlich weg von St. Louis, wo Ihre Familie seit mehreren Generationen lebt, wo Sie mühelos eine Nische für sich und Ihre Kinder finden würden und Ihren Lebensabend in Frieden und Sicherheit verbringen könnten?«
»Also, sehen Sie, äh, ich … na ja … ich habe so ein komisches Gefühl. Ich … äh … ich sitze hier und schaue mich so um, und dann bekomme ich einfach Lust, hier raus zu kommen, verstehen Sie? Ich will abhauen.«
»Mr. Kemp, Sie wirken wie ein vernünftiger Mensch – was kann so schlimm sein an St. Louis, daß Sie gleich davonlaufen möchten? Ich will ja nicht aufdringlich sein, sehen Sie, ich bin ja nur ein Reporter, und ich selbst komme aus Tallahassee, man hat mich eben hierher geschickt, damit ich –«
»Sicher. Ich würde Ihnen nur zu gerne … äh … wissen Sie, ich würde Ihnen gern vermitteln können … äh … vielleicht sollte ich es so sagen: es fühlt sich so an, als würde mir jemand von oben herab einen Gummisack überziehen … rein symbolisch, Sie verstehen … die Ignoranz der korrupten Väter, von der die Söhne heimgesucht werden … Können Sie damit etwas anfangen?«
»Nun ja, sehr witzig, ich glaube, ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Mr. Kemp. Bei uns in Tallahassee war es ein Baumwollsack, aber ich schätze, er war ungefähr so groß wie der, von dem Sie sprechen und –«
»Oh ja, es geht um diesen verdammten Sack – und deshalb verschwinde ich lieber von hier, und ich glaube, ich werde … äh …«
»Mr. Kemp, ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, wie sehr ich mit Ihnen fühle, aber verstehen Sie, wenn ich nach Hause komme mit einer Geschichte über einen
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