Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
Zeitlang aushalten konnte. Mit einer leichten Brise, die durchs Fenster kommt. An einer ruhigen Straße. Kurz gesagt: eine Adresse, die nach einem menschlichen Wesen klang – anstatt »c/o« oder »postlagernd« oder »Bitte Weiterleiten« oder »Empfänger holt Sendung ab«.
Wenn sich solche sporadischen Adressen über einen Zeitraum von zehn Jahren ansammeln, kann das wie ein Fluch auf einem Menschen lasten. Man beginnt sich zu fühlen wie der Ewige Jude. Genau so ging es mir. Nach einer Nacht zuviel auf einem stinkenden Bett in einer fauligen Grotte, wo ich sowieso nichts verloren hatte, wußte ich wenigstens eins: zur Hölle damit. Wenn das die absolute Freiheit war, hatte ich die Nase voll davon. Von jetzt an würde ich etwas ausprobieren, das weniger unverfälscht war – und viel, viel bequemer. Ich würde nicht nur eine Adresse haben, sondern auch einen Wagen, und wenn es sonst noch etwas gab, das mit stabilisierenden Einflüssen zu tun hatte, würde ich das auch gleich noch wollen.
Es gab einige Apartments, die in der Zeitung inseriert
wurden, aber die ersten, die ich mir anschaute, waren zu teuer. Schließlich entdeckte ich eins, das sich über einer Garage befand. Es war genau das, was ich wollte – viel Luft, ein prächtiger Baum, der Schatten spendete, Möbel aus Bambus und ein neuer Kühlschrank.
Die Frau wollte hundert, aber als ich fünfundsiebzig sagte, war sie sofort einverstanden. Auf einem Wagen vor ihrem Haus hatte ich einen großen »51«-Aufkleber gesehen, und sie erzählte mir, sie und ihr Mann würden sich für den Anschluß der Insel an die USA stark machen. Ihnen gehörte das La Bomba Café in San Juan. Ob ich es kannte? Natürlich – sehr gut sogar, oft dort gewesen, unvergleichliches Essen für den Preis. Ich erzählte ihr, daß ich für die NEW YORK TIMES arbeitete und ein Jahr in San Juan verbringen würde, um eine Serie zu schreiben über die Bestrebungen Puerto Ricos, der 51. Bundesstaat der USA zu werden. Deshalb bräuchte ich absolute Ruhe.
Wir grinsten uns an, und ich bezahlte eine Monatsmiete im voraus. Als sie noch einmal fünfundsiebzig für die Kaution wollte, sagte ich ihr, daß ich nächste Woche meinen Spesen-Scheck bekommen und es ihr dann geben würde. Sie lächelte gnädig, und ich machte mich davon, ehe sie mich sonst noch wegen irgendwas hätte angehen können.
Zu wissen, daß ich jetzt eine eigene Wohnung hatte, gab mir enormen Auftrieb. Sogar wenn ich gefeuert wurde, hatte ich genug auf der Bank, daß es eine Weile reichen würde, und wenn Sanderson jeden Tag fünfundzwanzig Scheine bezahlte, mußte ich mir überhaupt keine Sorgen machen.
Ich ging auf die Avenida Ashford und nahm den Bus Richtung Redaktion. Auf halbem Weg fiel mir ein, daß heute mein freier Tag war, aber ich wollte ohnehin nach
der Post sehen, also fuhr ich hin. Als ich durch die Nachrichtenredaktion zu den Postfächern ging, rief mich Sala, der sich gerade in der Dunkelkammer befand.
»Mann«, sagte er, »schade, daß du nicht eher da warst. Lotterman hat rausgefunden, das Moberg diesen Scheck für unsere Kaution unterschrieben hat – und hat dann versucht, ihn mit einer Schere abzumurksen und ihn bis runter auf die Straße gejagt.« Er nickte. »Es war die Hölle. Dachte schon, Moberg wäre weg vom Fenster.«
»Du lieber Gott«, murmelte ich. »Und was ist mit dem Scheck? Gilt der überhaupt noch?«
»Ich schätze schon«, erwiderte er. »Lotterman verliert doch sein Gesicht, wenn er ihn platzen läßt.«
Ich nickte skeptisch. Das vermasselte meinen Plan, ein Auto zu kaufen. Ich wollte mir von Lotterman Geld leihen und mir zehn oder fünfzehn Dollar die Woche von meinem Gehalt abziehen lassen. Jetzt stand ich vor der Dunkelkammer und zerbrach mir den Kopf über andere Möglichkeiten, als Lotterman seinen Kopf aus seinem Büro streckte und nach mir rief.
»Ich möchte Sie sprechen«, kläffte er. »Sie auch, Sala – versuchen Sie bloß nicht, sich da drin zu verstecken.«
Sala ignorierte ihn und ging in die Dunkelkammer. Einen Augenblick später kam er mit einer Packung Zigaretten zurück. »Verstecken, Scheiße Mann!« schnaubte er, laut genug, daß es Lotterman und auch alle anderen hören konnten. »An dem Tag, an dem ich mich vor so einem Penner verstecken muß, werfe ich das Handtuch.«
Der Zufall wollte es, daß Lotterman nichts hörte. Ich hatte ihn noch nie in so einem Zustand erlebt. Er versuchte, wütend zu klingen, aber er schien vor allem vollkommen durcheinander
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