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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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(gesungen Say-teloit) abermals darbot, im Pressezentrum nicht Ausgelassenheit und kollegialer Jubel seitens der anderen Delegationen herrschte, sondern eine eigentümlich erstaunte Stille, und man wurde sich bewusst, wie künstlich ihr Song eigentlich ist. Natürlich ist hier alles grotesk künstlich, übertrieben und extra für diesen Abend inszeniert, aber Lenas Authentizitätsanspruch passte schlecht in den Rahmen, der noch schiefer wurde, als in der anschließenden Pressekonferenz Raab und sein Schützling wie Schumi Sektflaschenfontänen auf Presse und Fans schäumten und die angereisten deutschen Schlagerhooligans «So ein Tag, so wunderschön wie heute» skandierten. Und als Lena zu einer englischen Frage auf Deutsch sagte, sie möchte jetzt doch lieber in ihrer Muttersprache antworten, da geriet dann kurzfristig ihre Trotzköpfigkeit in ein blasiert trottelhaftes Guido-Westerwelle-Fahrwasser, auch wenn sie kurz drauf wieder in die bekannte jahrzehntelang einprogrammierte deutsche Unterwerfungsmechanik verfiel und ihren Sieg mit «Der erste Platz ist gar nicht schlecht» kommentierte. Gleichwohl wurde sie darauf, wie sie es sich vorher vermutlich nicht einmal ansatzweise auszumalen in der Lage gewesen wäre, zum Werkzeug eines gruseligen, gierigen und gefräßigen Partydeutschlands (Motto: «Wir lassen uns das Singen nicht verbieten»), eingemeindet in eine Gruppe mit Jürgen von der Lippe, De Höhner, Oliver Geißen, Jürgen Milski (der Feinblechner aus dem Big «Brazzer» Container), Elke Heidenreich, HP Baxxter, Blixa Bargeld und Horst Lichter, immer «gut druff», die Anti-Miesepeter-Liga.
    Im Zubringerbus von der Telenor Arena in Bærum zurück ins Städtchen schimpft Hape Kerkeling wie eine Rohrdommel (er sitzt direkt hinter mir, ich spüre seinen warmen Atem in meinem Nacken). Er will sich nicht damit abfinden, dass der grauenvolle niederländische Beitrag «Ik ben verliefd (Sha-la-lie)» von Sieneke, geschrieben von Vader Abraham, wie ein Ziegelstein im Ozean versunken ist. Für ihn war er ein ganz klarer Favorit, und man weiß nicht recht, meint er das ernst? Dreht der ansonsten ja sehr integre Recklinghausener jetzt vollkommen durch? Aber man ahnt, dass er hier hinter einer offensichtlich ironischen Maske nur schwer seine Inkompatibilität mit der Raab-Lena-Linie zu verbergen sucht. Er ist noch dem alten, längst überholten schlageroiden Modell verhaftet, Federboas, Trickkleider, alles, was dem Schrillen innewohnt, und zusätzlich im Falle Sienekes: Drehorgel, Schunkeldrangsal, Mummenschanz, Budenzauber also. Kerkeling schnaubt, wird laut, sieht aus wie ein angeschossenes Flusspferd, die Fahrgäste schauen indigniert in ihre Vordersitztaschen, ein burmesisches Fernsehteam (ja, man glaubt es nicht, aber die sehen das, der Songcontest ist dort äußerst beliebt, so wie auch in Australien und Kasachstan) filmt ihn, er scheint es zu genießen, es geht ihm sichtlich besser, solange er ein Publikum hat.
    Oslo an Wochenenden ist infernalisch. Hier ist man schon lange nicht mehr gut drauf, hier ist man weiter, hier gerinnt der Frohsinn zu übersäuertem Stress, alles muss extrem laut sein, alles ist voll, die Schlangen vor den Lokalen sind lang und bewegen sich nicht, die kataleptischen Betrunkenen wie Gehirnentkernte, die im Lärm Hoffnung suchen, mit unendlich langen Augen in ihre Handydisplays starren und sich dem Unglück beugen, ein destruktiver Frohsinn, der betrübt macht und Knut Hamsun recht gibt, die Stadt mit ihren Versprechungen bekommt ihren Einwohnern nicht: «Worte wie große feuchte Ungeheuer wimmeln aus ihren Kindermündern, in der Nacht, die keinen Boden hat, die sie nicht begreifen können.»
    Am nächsten Tag, wenn alles vorbei und verdunstet ist, Songcontestsirup, Terrorwochenende, Dorfelend, und dringend Trost nötig ist, setzt man mit der Fähre von Aker Brygge über nach Gressholmen, der Kanincheninsel. Nager, denkt man, geht das alles nichts an, was interessiert sie die Verwandtschaft Lenas mit Inge Meysel? Lasst Nager um mich sein, und ich finde wieder den Weg zurück zu mir, nagend. Nagetiere stellen rund 42 Prozent aller Säugetierspezies und sind somit die bei weitem artenreichste Ordnung dieser Gruppe. Wenn es «drauf ankommt», wir «es» also vermasselt haben, sollten wir paar Überlebenden uns schon mal einen starken Bündnispartner suchen. Aber auf Gressholmen (deutsch «kleine Grasinsel») sind sie verschwunden, alle weg, wo sind sie? Man bricht sich schnell noch den

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