Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
bankrott, wie hätten sie so eine aberwitzig teure Schlagersause ausrichten sollen? Die Akropolis, ein paar südliche Sporaden oder das Moussaka-Originalrezept verkaufen? Hinkünftig wird es so sein, dass der schönste Sieg beim Songcontest der Vizesieg sein wird, und in Oslo wurde man erstmals so richtig gewahr, dass die fürderhin ausrichtenden Nationen schwer unter Erklärungsnotstand stehen werden, angesichts der galoppierenden Rezession in Europa. Sie werden die Verlierer sein, vielleicht zieht der Zirkus ja an Europa demnächst gnädig vorbei, weiter nach Australien, Kasachstan oder Burma.
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Die Tage der reitenden Leichenwäscher
Ich will auch nur ein warmes Plätzchen, von wo aus ich Menschen für eine gute Sache abknallen kann.
Werner Büttner
Über den Bachmannpreis existieren ähnlich viele Vorurteile, Gerüchte, Ressentiments, ja unverhohlen hasserfülltes Geraune bei gleichzeitiger und totaler Unkenntnis dessen, was da eigentlich so abläuft, wie über den Eurovisionssongcontest, mit dem Unterschied, dass wohl weit weniger Menschen bereit sind, tagsüber und sommers in der stickigen Stube zu sitzen und sich mehrere Tage klorollenlange, leiernde Lesungen mit anschließendem, vermeintlich knasterbärtigem Auseinanderpflücken des eben Gehörten durch eine lichtscheue Jury anzuhören, als, wie im Falle des Songcontests, nur einen Samstagabend Aufmerksamkeit zu investieren. Die Bachmannsiegerin von 2006, Kathrin Passig, schrieb über den Wettbewerb: «Die Tage der deutschsprachigen Literatur (wie das Kampflesen offiziell heißt) sind nicht dazu da, dem Zuschauer Kauf- und Leseempfehlungen an die Hand zu geben. Sie dienen der Verständigung über das, was wir von Texten, Autoren und Kritiken erwarten. Diese fehleranfällige, alberne, tapfere, manchmal fruchtbare und regelmäßig scheiternde Auseinandersetzung mit Texten ist die beste Literaturkritik, die wir haben.»
Beide Veranstaltungen sind raffinierte solipsistische Gewebe, da wie dort wird etwas für einen temporären Wettbewerb gebaut, das in den seltensten Fällen «da draußen» Überlebenschancen hat, und wenn mal etwas preislos bleibt, kann es passieren, dass es außerhalb des Auftriebs danach gewaltig durchstartet (Rainald Goetz, gelesen 1983, kein Preis, heute: der ewige Suhrkampklassiker. «Volare», gesungen beim Songcontest 1959 von Domenico Modugno, nur Dritter geworden, danach: Welthit, Ohrwurm). Regel indes ist, dass Klagenfurt schon der Gipfel der Aufmerksamkeit und des Ruhmes für einen siegenden Autor war, Beispiel Urs Allemann («Babyficker») und Franzobel («Krautflut»).
Wie der Songcontest beginnt auch Klagenfurt mit einem lustvoll zelebrierten, starren Ablauf, wozu im Vorfeld ein Bekanntmachen der Interpreten gehört, ein kleines biographisches Porträt, und da ist bei den Autoren ein auffälliges Kokettieren mit artfremden Tätigkeiten zu beobachten:
Volker Altwasser arbeitete als Elektronikfacharbeiter, als Heizer und Matrose, Peter Wawerzinek als Totengräber und Tischler, Kevin Vennemann (gelesen 2006) hat «in Köln, Innsbruck und New York als Totengräber, Fließbandarbeiter, Kellner, Aushilfslehrer für Deutsch und Englisch sowie als Hotelportier» gearbeitet.
Die Beliebtheit des Totengrabens und Leichenwaschens unter Autoren ist schon erstaunlich. Roger Graf, der als Leichenwäscher, Baumwollpflücker, Landstreicher und Mittelgewichtsboxer gearbeitet hat, überbietet Vennemann allerdings locker. Auch internationale Autoren scheinen schillernde Biographiezierleisten zu faszinieren: Douglas Adams hat Hühnerställe ausgemistet, war Leibwächter bei einem Emir und Gitarrist bei Pink Floyd. Charles Bukowski war Leichenwäscher, Werbetexter, Nachtportier, Sportreporter, Hafenarbeiter, Zuhälter, Briefsortierer und Tankwart. Schade, dass Adams und Bukowski nie in Klagenfurt gelesen haben.
Frank-Wolf Matthies (gelesen 1981) war Fernsprechhelfer, Schwimmhallenmaschinist, Kellner, Taxifahrer, Leichenwäscher, Kameraassistent und Grabenzieher. Feridun Zaimoglu (gelesen 2003) hatte ebenfalls den Bogen raus: «Ich arbeitete als Schlachter bei Nordfleisch, ich fuhr frühmorgens Brötchen aus, ich spülte Pfannen und Töpfe in einem sehr noblen Hotel oder ließ mich als Landvermesser einstellen.» Interessant, dass sich nur männliche Autoren bemüßigt fühlen, ihre Viten mit solch biographischem Stuck zu schmücken.
Beim Songcontest hingegen findet man eher weniger singende Leichenwäscher, und das ist
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