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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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Fuß, auch das noch, weil man in einen leeren Bau getreten ist, und das war’s dann. Der Knöchel schwillt blau an, so hat man wenigstens noch ein Mitbringsel. Das letzte Mal, als man hier in Oslo ankam, war am Tag der Ankunft «Der Schrei» geklaut worden, Edvard Munchs Schreibild, auch ein hübsches Souvenir, jetzt also Knochenbruch. Im Munchmuseumsshop gibt es einen aufblasbaren Schrei, aber den will man nicht, den hat doch schon jeder, die ganzen stillosen Ironiker.
    Was soll man noch sehen, wohin lässt sich’s noch humpeln mit dem blauen Fuß? Oslo hat natürlich noch zwei ganz wichtige Stätten zu bieten, beide praktischerweise nahe beieinander: Willy Brandts alte Exilwohnung in der Hollendergata 2, hier entstand vermutlich seine Tochter Ninja, heute Direktorin eines Montessori-Lyzeums, gleich um die Ecke die legendäre ehemalige Black-Metal-Bedarfshandlung Helvete (Hölle), in der Schweigaards gate 56. In dem grimmigen Laden, der Anfang der 1990er betrieben wurde, war Lachen verboten. Inzwischen ist es ein vietnamesischer Imbissladen, Bustouren führen nostalgische Metalclowns mit Corpse Paint im Gesicht hierher, ratlos stehen sie vor der Vitrine, in der ein paar frittierte Frühlingsrollen korrodieren. Jeder der kauzigen Besucher bekommt einen in Esspapier eingewickelten Weichbonbon mit Sauersackgeschmack (die Frucht ist auch bekannt als Stachelannone), sie suchen Hausmauern und Klowände nach Inschriften oder Pentagrammen aus alten Tagen ab. Die unmittelbare Nähe beider Kultstätten kann nicht über ihre vollkommen diametral entgegengesetzten ideologischen Schwingungen hinwegtäuschen. Franz Josef Strauß fragte einst in düsteren Zeiten demagogisch den visionären Kanzler, was er zwölf Jahre lang «draußen» gemacht habe, um für seinesgleichen zu antworten: «Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.» Auch weiß man, was die Betreiber und Besucher des Helvete gemacht haben, im Keller schmutzige Lieder geprobt und oben schmutzige Gedanken realisiert. Als der Sänger der Hauscombo Mayhem, der tote Tiere sammelte und deren Verwesungsgeruch einatmete, der stets seine Kleider ein paar Monate vor Auftritten vergrub, damit sie einen modrigen Hautgout bekommen, Per («Pelle») Yngve Ohlin, alias Dead, sich 1991 das Gehirn wegschoss («Excuse all the blood»), kochte sich Plattenladenbesitzer Øystein «Euronymous» Aarseth aus Pelles Bregen ein leckeres Süppchen und sammelte die Schädelsplitter ein, als Talismane für die Treusten der Treuen. Später tötete ihn der dort ebenfalls herumhängende Brandstifter Count Grishnackh, indem er ihm ein Messer durch den Kopf trieb. Und auch den, beziehungsweise diesen Black Metal gibt es inzwischen nicht mehr, er ist zum Zirkus für Kinder (Cradle of Filth) verkommen, verschwunden wie die Kaninchen auf der Grasinsel, schade eigentlich, man hätte das eventuell als extremes Schlagerkontrastprogramm gebrauchen können. Zumindest ist der Fußknöchel wieder abgeschwollen, war wohl doch kein Bruch. So nimmt man wenigstens gar nichts als Souvenir aus Oslo mit, hatte man ja sowieso nicht vorgehabt. Auf dem Rückflug fällt einem ein, was im Juni 2003 ein Sicherheitsbediensteter des Stuttgarter Flughafens im Handgepäck der vielleicht bekanntesten Band Norwegens, den gottgleichen Deathpunkdiktatoren Turbonegro («Rendezvous with anus»), fand: einen 45 Zentimeter langen Dolch, der in den Spazierstock des Sängers Hank van Helvete eingearbeitet war. Obwohl der Stockdegen nach Angaben der Band zum Bühnenoutfit gehörte, ließ sich ein Freund der Band ersatzweise verhaften und später gegen Kaution wieder freilassen. Bassist und Hauptsongwriter Happy Tom kommentierte den Vorfall wie folgt: «In was für einer Welt leben wir, in der Männer mit langem schwarzen Haar und langen schwarzen Bärten keine 45-Zentimeter-Dolche mehr in Flugzeuge mitnehmen können?» Tja, manchmal ist es doch auch ganz gut, etwas aus der Fremde nicht mitzunehmen. Wäre der «Schrei» ein gutes Souvenir gewesen oder Schädelfragmente eines Nekromantikers namens Pelle? Ist denn Lenas Sieg ein gutes Mitbringsel?
    Heute wissen wir, dass es nicht so war. Der erste Platz ist zwar «gar nicht schlecht», eben, deshalb ihr leicht bescheidener und vermutlich gar nicht mal so falscher Unterton, aber gut muss er auch nicht gleich automatisch sein, so wie die Griechen einen Sieg mit ihrem Opa noch viel zerknirschter hätten heimnehmen müssen, denn ein paar Monate später werden sie vollkommen pleite sein,

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