Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
zumindest wacht Sardiniens größter Holunderbusch über all dem Elend hier.
Oben an der konvexen Hotelruine stehen immer viele Autos, auch schon tagsüber. Es sind Liebespaare, wenn sie schon nicht im Hotel einander beiwohnen können, dann halt in seiner Nähe. Ein älterer Herr, der auf mich zufährt und den ich freundlich grüße, indem ich meinen Zylinder lüpfe, lächelt ausgeleiert und drückt den Kopf der silberhaarigen Frau an seiner Seite nach unten. Für ihn bin ich offenbar eine Art Detektiv, der seiner Nachmittagsdulzinea nachspioniert, schön, jetzt hier oben ein bisschen Dramatik in den Betrieb bringen zu können.
Frühstück wird immer im grauenvoll eingerichteten Ristorante-Bar Museum eingenommen. Wenn die Italiener schon einen schlimmen Kleidungsgeschmack haben, so haben sie einen noch viel schauerlicheren Sinn für Inneneinrichtungen, wirklich aberwitzig, woher kommt das wohl? Es ist uns Italienern egal, wie das aussieht, worauf und worin wir sitzen, interessant ist doch nur, was aus uns an Informationen rausquillt und in uns eindringt, und das macht uns resistent gegen jede Form von Hässlichkeit, Häuser müssen nur hohl sein, und in ihnen muss nur etwas stehen, worauf man sich setzen kann, das reicht. Erstaunlich pragmatisch eigentlich, aber mit diesem Geschmack würden sie selbst neureiche transnistrische Malefizbuben irritieren, die ja sonst für jeden schockierenden Tand zu haben sind. Es gibt kein Volk auf der Welt, das sich so schlecht innen einrichten kann, trotzdem geht man eben ins Ristorante-Bar Museum, trinkt einen labbrigen Kaffee und nimmt dazu ein Puddinghörnchen, aus dem minderwertiger Brei quillt, und sitzt und schaut und staunt, Menschen kommen und gehen, jeden Tag das gleiche einlullend wohltuende Ritual, gegenüber steht das Rathaus, aus dem immer wieder der Bürgermeister mit seiner wie eine Billardkugel polierten Glatze tritt, Honoratioren abholt und in sein Gehäuse führt, kurz drauf wieder rauskommt und mit seinen Gästen in die Bar kommt, das Leuchtdiodenlaufband des Apothekers Dottore Tamponi vis-à-vis zeigt kommode +24 Grad (im Juni), die Rathausuhr steht schon seit Jahren auf fünf nach drei, zumindest zweimal am Tag geht sie richtig. Vorm Gastgärtchen niest einer seltsam, der Kellner Andrea, mit der obligatorischen Modepunkfrisur, fragt, ob er erkältet sei, der Nieser meint, es sei nur die Nase, im Lokal ein Fabrizio-De-André-Schrein aus Plexiglas, der Schnulzensänger hatte auf der Insel ein Anwesen, liebte sie, glorifizierte die Gallura, auch wenn er 1979 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Dori Ghezzi entführt und erst nach vier Monaten und Zahlung eines sehr hohen Lösegeldes freigelassen wurde. Er starb zwanzig Jahre später an Lungenkrebs, hat sich ums Leben geraucht, im Schrein zwei Singles, eine Halterung für eine Gitarre, die fehlt, ein Songtext mit einem roten Kuli verfasst, «Rimini». In der Zeitung La Nuova (vormals Nuova Sardegna) steht in dicken Lettern auf der Titelseite, dass sich George Clooney gerade von seiner Freundin getrennt hat, sie ist Sardin, man munkelt, er sei schwul, könne doch nur schwul sein. In der Gazette, auf der letzten Seite, gibt es noch, man will es nicht glauben, Drudel, und die Gäste grübeln wirklich mit den ernsten Gesichtern kleiner konzentrierter Kinder darüber, was auf den Vexierbildern wohl zu sehen ist. Italiener eben.
«Avrebbero dovuto sposarsi», raunt mir Schankbursche Andrea über die Schulter zu, sie hätten heiraten sollen, ich, ganz in Gedanken, was wohl jener Mann mit dem schätzungsweise vier Meter langen Bambusrohr vorhat, der gerade diagonal den Platz quert, verstehe nicht ganz. Er meint natürlich Clooney und die Sardentante, aber ich denke zuerst, er meint die beiden exakten Uhrzeiten des Tages, die die kaputte Rathausuhr anzeigt, das ist ja so, als ob siamesische Zwillinge im Koma heiraten, wie soll das gehen, was meint er?
Ich weiß nicht, immer wenn ich Italien wieder verlasse, bleibt ein komischer Nachgeschmack. Das Land gefällt mir ja gar nicht mal so schlecht, sie geben sich redlich Mühe, einen zum Lachen zu bringen, woher also dieses schale Gefühl danach ? Warum diese resignativen Verkehrsschilder, die überall hinführen (Tutte le direzioni), es ist ihnen egal, wohin man kommt, es ist auch nicht die Tatsache, dass sie einen dauernd bescheißen, diese albernen Copertagebühren, Esszoll, geschenkt, es ist das dauernde Essen selbst, man wird ganz stumpf, dazu das
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