Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
Pansen anstelle seines Herzens.
Als Norwegen 2009 mit einem schmächtigen, fiedelnden Bürschchen namens Alexander Rybak den Songcontest in Moskau gewann, war das genau die Zäsur für eine zuletzt durch osteuropäischen Oligarchenpop dominierte Farce. Der seifige Russe kaufte sich seinen Sieg einfach, teurer amerikanischer Produzent (Timbaland), Stehgeiger kratzt auf einer Stradivari, Eistanzweltmeister Jewgeni Wiktorowitsch Pljuschtschenko eiert auf Minimalstradius um ihn herum wie ein sterbender Brachvogel. Nun ist der ESC wieder nach Hause gekommen. Dass Rybak ein russischer Emigrant und geschickter Assimilant ist, half sicher, ihn kompromisslerisch zum Schnulzenprinz für ein Jahr zu küren.
Jetzt also Oslo. Der Schlagerjahrgang war ein solider, auffallend wenig Müll, ein kleiner Zwischenfall nur, während des spanischen Beitrags schlich sich ein Flitzer mit Schlumpfmütze auf die Bühne und ahmte den Sänger nach, was außer ihm niemandem auffiel, für Rumänien sang ein Mann, der wie ein Schuhschnabel seltsam war, des Schweizers (Michael von der Heide) mimikreicher Vortrag und seine rudernden Gesten konnten nicht von seinen enormen Henkelohren ablenken, das Aussehen ist ja so unwichtig nicht, Kleidung, Frisuren und Gebisse, Gesten und Spasmen, alles zählt mit, eingedenk der Frage: Würde man diese Musik etwa hören wollen, wenn man sie nicht sehen könnte? Dieses Jahr gab es beachtlich viele Geigen (man kopiert immer das, was im Vorjahr erfolgreich war), relativ viele Lieder, die sich bedeckt hielten, so als wüssten sie selbst nicht genau, welches Genre sie nun eigentlich bedienen sollen, irgendein Teil davon wird schon mit irgendeinem aktuellen Trend kompatibel sein.
Und dann gab es die neunzehnjährige Lena Meyer-Landrut. Lena, eine Art höhere Tochter, sie ist aus Hannover an der Leine, der modernsten Stadt Deutschlands, die Scorpions kommen aus Hannover («Take me to the magic of the moment, on the glory night, where the children of tomorrow, dream away, in the wind of change»), desgleichen der gedrungene Altkanzler Gerhard Schröder («Hol mir mal ’ne Flasche Bier»), ja, von außen betrachtet: ein Stigma. Aber Stigmata sind doch dazu da, abgeschüttelt zu werden, und nicht, dass man mit ihnen Mitleid heischt, wie Jesus es tat. Lena macht das auf den ersten Blick relativ gut, auch wenn der groteske englische Dialekt beim Singen, ein lautverschiebendes Gelalle, das an Dick van Dyke, den schmuddeligen Rauchfangkehrer in «Mary Poppins» erinnert, und ihre Pippilangstrumpfhaftigkeit fassungslos machen. Die braucht sie aber, um ihre bestürzende Unsicherheit und Hilflosigkeit zu kaschieren. Erschreckend auch, dass sie sie von der fünfzigjährigen Nena hat, zurückimportiert in ihre Generation, Nena, die damit schon seit 30 Jahren gewaltig nervt, und davor war es, der Vollständigkeit halber, Inge Meysel. Aber wie soll sie anders als «frech» sein, wenn sie erst ein paar Wochen vorher in dieses grelle Licht der Aufmerksamkeit und des erdrückenden medialen Interesses gestoßen worden ist.
Lenas stärkster Konkurrent war eine griechische Testosteronschleuder namens Giorgos Alkeos, eine Art strammer Karussellbremser, der mit seinem markerschütternden Schrei, einem Geräusch, das einen durchfuhr wie ein Elektroschock, Europa das Fürchten lehren sollte: «Opa!» Opa heißt in etwa Los geht’s! , er hat auch einmal ein Lied namens «Opa Opa» geschrieben, für Elena Paparizou, die vor fünf Jahren den Songcontest gewann (Deutschland wurde Letzter). Nun aber dieser Schrei: Die Parallele zum im finsteren Wald pfeifenden Kind drängt sich einem auf, der Tanz auf dem Vulkan, man wundert sich über die Absenz von Dezenz, aber ist ja nur Unterhaltung, Nabelschau war gestern oder ist dem Griechen vielleicht genetisch gar nicht gegeben.
Lenas Mentor und musikalischer Ziehvater ist Stefan Raab, der Mann, mit dem unbedingten Willen zum Sieg (Motto: «Der Drops ist noch nicht gelutscht») und einer Vision: qualitätsvolle Musik, die sich durchsetzen muss. Er bleckt seinen modifizierten Bukkalkorridor (32 Zähne, alleine oben), als würde er den Spatz von der Leine zum Gewinn durchbeißen wollen, und der Sieg ist ihm dann ja auch eindrucksvoll gelungen, auch wenn Raab bei jeder Gelegenheit im Vorfeld betonte, dass man schon mit einem achten Platz «hochzufrieden» wäre. Der Platz, auf dem der virile Grieche dann landete.
Eigentümlich war indes, dass, als Lena ihren ambitionierten Siegertitel Satellite
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