Rummelplatz
Vaterschaftsanspruch mit Gewalt durchzusetzen versuchte, hatte Peter zurückgeschlagen, zum ersten Mal, er hatte vorher so manche Tracht stillschweigend eingesteckt. Und während Mutter zeterte und Kahlert in der Sofaecke nach Luft japste, hatte Peter seine drei Hemden und vier Socken zusammengesucht und war gegangen. War hierhin und dorthin und schließlich zur Wismut. Wirklich, dachte er, es ist besser, wenn ich den Alten erst einmal aus dem Tempel herauslasse, sonst gibts womöglich gleich wieder ’ne Keilerei.
Überhaupt kostete das allerhand Überwindung. Man steht vor der Tür der Wohnung, in der man groß geworden ist, und auf dem Türschild steht so ein Name. Die Schwester hieß zwar mittlerweile auch anders, seit sie verheiratet war, Landser, und das war weiß Gott nicht sehr erhebend. Immerhin hatte man fünf Jahre Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen, und überdies lag der Rhein weitab. Ja, bei Licht besehen war man der einzige, der noch den Namen hatte, der einem zukam. Traudel Landser, na schön. Aber Ilse Kahlert! Man hatte auch den richtigen Vater nicht oft zu Gesicht bekommen, und auch er hatte immer einen Prügelgrund bei der Hand, aber wenigstens hatte er einem einen ehrlichen Namen hinterlassen, nicht so was wie dieser dahergelaufene Dickarsch.
Es war aber noch nicht dunkel und war auch nicht halb acht, und Peter ging nun ins Stadtbad. An der Kasse stand eine Schlange, wie immer an Sonnabenden, Menschen strömten die Marmortreppe herab, und Rinnsale schlängelten sich hinauf. Auch in der Vorhalle standen sie, saßen auf weißen Bänken, Bademeister und Masseure liefen umher, in weißen Mänteln, Sandalen an bloßen Füßen, ein dünner Friseur steckte seinen Pomadekopf durch die Tür des Friseur-Salons. An den Glastüren der großen Schwimmhalle sah Peter den |251| Wasserballern zu, sie zurrten die Torleinen fest am Beckenrand, duschten sich unter der Kaltwasserbrause, numeriert von eins bis sechs, der Schlußmann fehlte. Vor zwei Jahren noch war Peter Schlußmann gewesen, B-Jugend, hoffnungsträchtiger Schlußmann der hoffnungsträchtigen Lok-Mannschaft, drei zu null gegen Aufbau Magdeburg. An der zweiten Leiter sah er die Mädels der Lagenstaffel, er wußte, daß dort im Fußboden eine Fliese fehlte. Dann kam der Bademeister mit einer Bambusstange und schob den großen Zeiger der Hallenuhr auf halb acht. Damals, dachte Peter, damals hatte er auch immer was an der Uhr zu fummeln. Damals begann halb acht das Training. Und nach dem Training wartete Gitta draußen. Damals.
Draußen die Straße war nun dunkel. Im Lippmannschen Möbelgeschäft brannten ein paar Lampen, auch ein paar Straßenlaternen brannten, Peter vermißte sie, als er zum Brühl hinüberbog.
Die Haustür war noch nicht verschlossen, er nahm es als gutes Vorzeichen. Drinnen aber funktionierte das Hauslicht nicht. Er tastete sich die Stufen empor, am Geländer entlang, auf dem ersten Treppenabsatz entzündete er ein Streichholz, stand ein paar langsame Minuten. Da war der vertraute Geruch von billigem Bohnerwachs, von kühler Treppenhausluft, und von Aborten, die noch keine Wasserspülung kannten. Da waren die schütteren Geräusche hinter Türen, die unmittelbar in Wohnküchen führten, ohne Vorsaal, die Geräusche eines Mietshauses mit Zwei- und Zweieinhalbzimmerwohnungen. Er stieg langsam zum zweiten Stock empor. Drin lief das Radio sehr laut, und nebenan, wo der alte Hengst wohnte, schlug eine Gonguhr dreimal die Viertelstunde.
Peter dachte plötzlich: Was, wenn er nicht zum Skat gegangen ist? Hinter der Tür des alten Hengst machte es Hick, das war das Sodbrennen. Vielleicht spielen sie jetzt an einem anderen Tag? Und während er den Klingelknopf drückte, |252| dachte er: Überhaupt, was kann in den zwei Jahren alles geschehen sein? Das Türschild ist noch das alte, und auch der Blechbriefkasten muß noch immer neu gestrichen werden, aber sonst …
Er öffnete die Tür und schlug den Vorhang zurück. Die Mutter saß im Sessel neben dem Radio, eine Illustrierte vor sich auf dem Tisch.
Er stand eine ganze Weile in der Tür, sie starrten sich an, sagten beide nichts. Dann zog er den Vorhang vor, ging zur Konsole hinüber und stellte das Radio leiser. Da stand die Anrichte, das gute Geschirr hinter der Scheibe, die Kristallschalen, die nie benutzt wurden und die auch gar nicht gemacht waren, um benutzt zu werden. Da war die Heidelandschaft über dem Sofa, dort, wo früher das Führerbild gehangen hatte. Und sie sagten beide
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