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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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den Fenstern gefressen hätten, und unter Hindenburg zu dritt an einem Salzhering gelutscht, von Adolf gar nicht erst zu reden. Wahrhaftig, dachte er, es ist schon sehr fraglich, ob es irgendwo noch ein Land gibt auf der Welt, wo die Leute so vergeßlich sind. Und er dachte: Ja, wer seine Arbeit gut macht, der bekommt heute auch sein gutes Geld dafür. Und das ist wirklich neu in Deutschland, daß es dem Arbeiter gut geht.
    Aber dann dachte er: Leider, leider ist das alles nur die halbe Wahrheit. Geht es denn wirklich schon allen gut, die gute Arbeit tun? Ja, bei uns, in der Wismut. Bei uns tragen sie tausend Mark nach Hause und fünfzehnhundert und zweitausend. Aber sonst? In der Steinkohle sind sie schon froh, wenn sie für die gleiche Knochenarbeit sechshundert Mark rauskriegen oder siebenhundert. Und so ein Weber hier, oder eine Spulerin, oder ein Arbeiter in der Papierfabrik, die verdienen drei- oder vierhundert, oder auch bloß zweihundert, und manch einer noch weniger. Nein, dachte er, das ist kein Grund, die Fahnen herauszuhängen. Er wußte, daß der Staat gar nicht anders konnte, als die wichtigsten Industriezweige anziehend zu machen durch hohe Löhne und Sonderzuteilung von Lebensmitteln, und er wußte auch, daß die Wismut der wichtigsten Zweige einer war. Ja, dachte er, das muß wohl so sein, es geht wohl noch nicht anders. Aber gerecht, dachte er, gerecht ist das nicht.
    Und sie nahmen nun Abschied von den Trikotagenfabriken und den Webereien, die zogen nach Glauchau hinüber und nach Meerane, nach Hohenstein-Ernstthal und Limbach-Oberfrohna, und weiter nach Chemnitz hinein. Sie fuhren von Süd nach Nord und näherten sich einem Landstrich, der hatte früher zu Thüringen gehört, bevor er ans Land Sachsen kam. Die Wiesen wurden fetter, die Äcker dunkler, das Korn stand brusthoch. Auch waren die Felder nicht mehr so eng, wie sie die Berge herab gewesen waren, und die Häuser |277| waren anders gebaut, weiträumiger. Als sie aber Abschied nahmen von den Fabrikdörfern und einfuhren in das grüne Land, da riß für einen Augenblick die Wolkendecke und ließ ein bißchen Sonne durch, die war blaßgelb. Und die blaßgelbe Sonne ging über die Felder hin und die Wiesen und über einen Kirchturm, und dann überquerte sie den Zug, der von Süd nach Nord fuhr, und entfernte sich ostwärts.
    »Null Hand?« fragte der kleine Heckert. »Null Hand ist immer Kontra!«
    Kleinschmidt protestierte. »Unmöglich, bei meinem Blatt!«
    »Unmögliches«, sagte der kleine Heckert, »wird sofort erledigt, bloß Wunder dauern immer ein bißchen.«
    »Aber es ist Quatsch«, sagte Kleinschmidt noch einmal. »Wir treiben ihn bloß hoch.«
    »Schön«, sagte der kleine Heckert, »treiben wir ihn. Los, Loose, spiel aus!«
    Und Peter Loose spielte die blanke Grün-Acht aus, und war auch schon drin, denn Kleinschmidt hatte die sieben, und der kleine Heckert hatte nichts, und zwei Grünblätter lagen im Skat.
    »Na?« sagte der kleine Heckert »Wer nichts riskiert, kommt nicht nach Waldheim. Sagt mein alter Herr immer. Von dem kann man ’ne Menge lernen, von meinem alten Herrn, was?«
    Aber da bremste der Zug, er hielt in Gößnitz.
    In Gößnitz stieg der Schwarzseidene aus. Er kam am Abteil vorbei, in dem Papst saß und Hermann Fischer, er schritt dahin wie einer, der gerade geadelt worden ist. Sie sahen ihn dann noch eine Weile draußen auf dem Bahnsteig. Aber auf einmal sah er gar nicht mehr so anmaßend imposant aus, eher ein bißchen lächerlich sah er aus und sehr unpassend auf diesem dürftigen Bahnsteig, und sehr übriggeblieben von einer längst vergessenen Maskerade. Und dann sahen sie gegenüber einen Güterzug. Die Türen der Waggons waren zurückgeschoben, junge Leute saßen da und ließen die Beine baumeln, und irgendwo spielte eine Ziehharmonika. Quer über |278| die Waggonwände war mit weißer Farbe geschrieben: Sosa – Talsperre der Jugend.
    Als sie wieder fuhren, sagte Papst: »Die haben es gut. Wenn man so bedenkt, zu unserer Zeit, als wir noch jung waren. Da hat uns keiner nichts geschenkt, was, Genosse Fischer?«
    »Hm«, sagte Hermann Fischer.
    »Die wissen das gar nicht zu schätzen«, sagte Papst. »Da mußt du noch bitten und betteln, daß sie studieren gehen oder auf die ABF; oder wenn du ihnen ein Jugendheim einrichtest, da mußt du noch Männchen machen, daß sie überhaupt reingehen.«
    Hermann Fischer sagte nichts. Er sah das grüne Land draußen, das immer weiter neben dem Zug herging, die

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