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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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schiefergrauen Reihendörfer Westsachsens mit ihren Kirchtürmen und Gartenzäunen und mit ihren Telegrafenmasten. Der Himmel Mitteldeutschlands war noch bedeckt, aber unter ihm dampfte die Erde vor Fruchtbarkeit. Und schickte ihre Gerüche aus, die schweren Gerüche des Sommers, und war gut im Halm in diesem Jahr, und ahnte schon Ernte und Körnerdrusch, und ahnte die prallen Scheunen des Herbstes. Der Bahndamm ließ Brombeerhecken wuchern, und dann kam ein Schrankenwärterhäuschen vorbei, mit ein paar Kartoffelzeilen und einer regenmüden Vogelscheuche, und mit Saatkrähen, die sich nicht stören ließen.
    »Sag mal«, sagte der Genosse Papst plötzlich, »sag mal, Genosse Fischer, wie geht es denn so mit deiner Tochter? Schafft sie’s?«
    »Sie wird’s schon schaffen«, sagte Hermann Fischer. »Warum denn nicht?«
    »Naja«, sagte Papst, »Maschinenführer, das ist schon was. Als erstes Mädchen, und ausgerechnet in Bermsthal. Du weißt ja, wie das ist. Allerdings, der Genosse Nickel, der hat da eine gute Überzeugungsarbeit geleistet. Das ist ja alles versippt und verschwägert dort, und bis fünfundvierzig Konzernbetrieb, das steckt natürlich in den Leuten drin. Beispielsweise |279| dieser Jungandres, der Produktionsleiter. Wenn es nach dem gegangen wäre, da wäre dein Mädel nie an die Maschine gekommen.«
    Jungandres? dachte Hermann Fischer. Ist das nicht der, von dem Ruth mal erzählt hat? Der ihr irgendwo mal geholfen hat, als sie allein nicht zurande kam? Zu dumm, dachte er, daß man nie Zeit hat, mal richtig miteinander zu reden. Immer kommt irgendwas dazwischen. Für jeden Quark bringst du Zeit auf, aber für das eigene Mädel, da langt’s alle Jubeljahre mal. Trotzdem, Jungandres, das muß der schon sein. So einer mit Spazierstock und Dackel, und einer Perle im Schlips. Den haben wir doch mal getroffen, oben am Eibsee, als wir auf Schwamme waren. Der hat da gesessen und geangelt, und hat gewettert, wir sollten ihm die Fische nicht scheu machen. Und dann hat er gesagt: So, Sie sind der Herr Fischer? Na, da lasse Sie sich mal keine graue Haare nit wachsen, das ischt scho ein halber Papierdoktor, ihr Mädle. Die wird uns scho keine Schand mache, nit wahr? Das hatte der Doktor Jungandres gesagt, und Hermann Fischer sagte es nun dem Genossen Papst.
    »Ja«, sagte Papst, »der ist so. Der stellt sich gut mit den Leuten, wo sich’s mal auszahlen könnte. Der weiß doch, daß du Genosse bist. Die sind doch einer wie der andere, der eine einen Dreier wert, der andere drei Pfennig.«
    »Nana«, meinte Hermann Fischer, »du kannst sie nicht alle in einen Topf tun.«
    Denn er hatte ein Ohr für Redensarten, und für die Töne, die darunter lagen. Möglich, daß er dem Genossen Papst Unrecht tat, aber man wußte nie, wo das anfing und wann. Er hatte sich umgetan unter den Leuten und hatte gesehen: es begannen sich da Methoden einzubürgern, die hatte kein ZK beschlossen, und nichts davon stand im Parteistatut. Methoden wie Flintenläufe, mit einem Linksdrall innen und verbogenem Visier, und man schoß mit Worten daraus und Redensarten, daß es eine Art war. Und man sah da einen und |280| dort einen, die hatten gerade mal erst in die Partei hineingerochen, aber hatten schon den Marxismus gepachtet ganz für sich allein, und vermehrten sich wie die Karnickel. Und tünchten ihr schlechtes Gewissen zu mit Mißtrauen und ihre Unsicherheit mit Phrasen, und machten Feinde, wo keine waren, lobhudelten Freunden nach bloßen Lippenbekenntnissen, indes der wirkliche Feind sich ins Fäustchen lachte und seine Teufelseier ausbrütete in der Verborgenheit. Und dann kam so ein Dalken, so ein papierwütiger Radikalhirsch, und schlug ein paar wildgewordenen Kleinbürgern die Fenster ein, und haute nebenbei ein paar Freunde k. o., und ließ aus längst geräumten Schützengräben posaunen, das sei der wahre Klassenkampf. Und hörte natürlich unterm eigenen Geschrei nicht mehr, daß ein paar Ecken weiter tatsächlich geschossen wurde. Schön, der Genosse Papst war sicher keiner von denen. Aber es konnte einen schon die Wut packen, es war doch wirklich so.
    Oder etwa nicht?
    Es war natürlich nicht so, er wußte es. Zum Beispiel: Was soll einer machen, der gestern noch auf irgendwelcher Seite war oder auf gar keiner, und hat nun zu uns gefunden, guten Willens, und wir sagen ihm, Genosse, der Mensch wächst mit seinen Aufgaben, also klotze ran! Ab sofort bist du verantwortlich für jenes, das und das muß durchgesetzt werden,

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