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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Zwischenspiel ein ganzes Leben lang, das war ihre Bestimmung. Und da war Unruhe innen, da fühlte man sich nirgends hingehörig als zu sich selbst, da war man immer auf der Suche, und wenn es |283| auch verdammt finster war und schal, nachdem man die Lichter vom Kurfürstendamm gesehen hatte – für ein paar Stunden wenigstens hatte man etwas gehabt von diesem Leben. Bloß die Leute, die dachten immer gleich, daß einer wunder was im Schilde führen müßte, wenn er mal dorthin fuhr. Selbst einer wie der kleine Heckert, einer, mit dem sich sonst reden ließ, selbst dem konnte man nichts sagen. Für einen wie den fuhr man eben zu seiner Tante nach Pankow.
    Und draußen ging immer weiter das grüne Land neben dem Zug, der nahm nun einen Tunnel an, in weitem Bogen, immer über die Ebene hin. Den Qualm ließ er zurück als eine Gerade, die mit dem tatsächlich gefahrenen Weg nicht übereinstimmte. Das kann man oft beobachten im Leben, daß es hinterher so scheint, als sei man einen geraden Weg gefahren, wo in Wirklichkeit eine Menge Kurven waren. Der Qualm hing tief herab, er lag da wie eine Wolke, die nicht mehr oben ist, wo Wolken eigentlich hingehören. Wie wenn man in den Bergen über der Wolkendecke steht, und man sieht oben den Himmel und die Sonne, aber die Erde sieht man nicht. Und der Zug gab noch einmal Signal, bevor er in den Tunnel eintauchte, aber es antwortete ihm niemand. Sie näherten sich der Stadt Altenburg.
    Ganz hinten im Zug, im letzten Abteil, ganz hinten saß Nickel. Er kaute an einem Kornapfel, der war noch ein bißchen grün, das muß man ja nicht unbedingt sehen, das schmeckt man. Draußen war es dunkel, und Nickel dachte: Wie sie da auf dem Bahnhof stand, als der Zug abfuhr, und wie sie gewinkt hat – so müßte mir mal jemand winken. Sie müßte mir so winken. Wenn ich irgendwohin fahre, zu Muttern vielleicht, oder vielleicht gar mal zu einem Parteitag. Und es wurde langsam wieder hell draußen, und er dachte: Warum denn nicht? Warum soll ich denn nicht mal zum Parteitag delegiert werden? Soviel gute Genossen gibt es ja gar nicht im Kreis, da muß ich doch auch mal drankommen. Und er dachte: Wenn ich die ganze Fahrt so mit ihrem Vater |284| im Abteil säße, dann wäre alles viel leichter, schön wäre das. Und, dachte er, mit dem Genossen Papst zusammen, die ganze Strecke. Da könnte man endlich mal richtig mit ihm reden. In der Kreisleitung ist ja immer keine Zeit. Das letzte Mal, da hat er bestimmt einen ganz falschen Eindruck bekommen. Vielleicht denkt er, daß ich Schwankungen habe, oder daß ich mich zu wenig durchsetze. Wie er mich angesehen hat, als ich den Bericht gab, über die Lage in der Papierfabrik. Vielleicht, daß ich zum Schluß ein bißchen übertrieben habe. Aber man kommt ja auch ganz durcheinander, wenn einen dauernd jemand so ansieht. Ja, dachte Nickel, da kommt man sich vor, als würde man schwindeln, wenn man die Wahrheit sagt. Aber wenn man einmal ein kleines bißchen aufrundet, dann muß man beim nächsten Bericht schon ein bißchen mehr aufrunden, sonst ist es ihm wieder zuwenig, und das wird dann eine Schraube ohne Ende. Er sah hinaus auf die ersten Häuser von Altenburg; der Zug verringerte seine Geschwindigkeit. Es gab nur eins: man mußte einen günstigen Moment abwarten, eine glückliche Stunde, in der sich alles wieder bereinigen ließ. Alles mit einem Abwasch. Ja, dachte er, so einen Moment muß man abpassen.
    Und in Altenburg stieg Mehlhorn aus.
    Sie waren hinausgegangen auf den Korridor, hatten sich draußen eine Zigarette angezündet, denn sie fuhren in einem Nichtraucher-Abteil; sie standen mit dem Rücken zur Abteiltür, nur Peter Loose stand mit dem Blick dahin.
    »Na?« sagte der kleine Heckert. »Sagt mal, Männer, wie kommt ihr eigentlich aus mit ihm?«
    Mehlhorn lief draußen über den Bahnsteig.
    »Tja«, sagte Peter Loose. Christian Kleinschmidt hob die Schultern und sagte nichts. Da fing der kleine Heckert an zu lachen, und Peter Loose sagte: »Scheißkerl, der!«
    Aber draußen begann nun das Braunkohlenland. Ganz plötzlich begann es, brachen die Äcker in die Tiefe, eben noch Getreidefelder und nun eine Dünung von Sand, Ödland |285| unter grauem Rauch, von den Brikettfabriken her, Sand und Rauch, darunter der Abraum stürzte, und der Tagebau lag kilometerweit, flach und schmutzbraun und einsam bis an den Horizont. Der Bagger schien stillzustehen, auch der Kohlezug, und noch ein Baggerchen in der Ferne, und Menschen waren keine. Nur diese

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