Rummelplatz
ihre Suppe für sich essen wollten, und hatten Warenhinterzieher und Steuerhinterzieher und Schwarzhändler und Spekulanten, und über die westliche Grenze kam die Kolonne fünf. Ja, dachte Hermann Fischer, mag er sein, wie er will, der Genosse Papst, aber er hat zur richtigen Zeit auf der richtigen Seite gestanden, und das Unmögliche möglich gemacht haben solche wie er. Und nun sollen sie kommen, die Klugscheißer, sollen sie sagen: Kaut uns doch nicht immer wieder die alten Geschichten vor, vom Urschleim bis in die Gegenwart, sollen sie ihr Maul aufreißen, von wegen wie weit es der Westen gebracht hat, und wie weit wir, sollen sie nur kommen. Manchmal kann man nicht anders, da hat der Papst schon recht, manchmal muß man ihnen eins in die Schnauze hauen. Ja, dachte er, manchmal juckt es einen mächtig in den Fingern, weiß Gott.
Und der kleine Heckert dachte: Sieh mal einer an, sie haben sogar eine Meinung. Soviel ist ja wahr: Samuel behüte uns vor den Mehlhörnern! Aber woher nehmen sie das Recht, über ihn herzuziehen? So, wie sie selber gebaut sind? Er sagte: »Vielleicht müßte man sich um ihn kümmern. Bei der Großmutter aufgewachsen, kein Wunder, wenn da einer ein bißchen ein Kümmerling wird.«
|288| »Kümmert ihr euch doch«, sagte Peter Loose. »Wir sind doch keine Heilsarmee. Da habt ihr ja einen Fang gemacht, mit dem Arschlecker.«
Man kann eine Sache nicht danach beurteilen, ob sich auch Radfahrer drauf berufen, dachte der kleine Heckert. Aber verdammt noch mal, wonach sollen sie sonst urteilen? Er sagte: »Ich kann mir die Leute nicht aussuchen. Ich kenne welche, die wären mir lieber.« Er drückte seine Zigarette aus und sagte: »Aber ihr wollt ja nicht, ihr sturen Böcke. Von euch aus kann ja jeder sehen, wo er bleibt!«
»Kann er«, sagte Peter Loose. »Wenn er’s kann.«
Und er sah den kleinen Heckert ins Abteil zurückkehren, in seiner verschossenen Windjacke, und sah die Leute im Nachbarabteil und im Gang, und ein Mädchen sah er hinter der dritten Abteiltür, das hatte den Kopf an die Schulter eines jungen Mannes gelehnt, und weiter hinten sah er einen alten Mann, der kaute geröstete Weizenkörner.
»Ich möchte schon«, sagte Christian Kleinschmidt plötzlich. »Manchmal möchte ich schon. Aber wenn sie weiter nichts haben als ihre idiotischen Broschüren, und immer dieselben Versammlungsreden, und Laurentia, liebe Laurentia mein, dann mache ich meins lieber allein.«
»Hm«, sagte Peter Loose, »wenn du schon so weit bist, da würde ich mir doch lieber langsam ’ne Anmeldung besorgen, an deiner Stelle.«
Denn er hatte das kommen gesehen. Eines Tages, das hatte er gewußt, eines Tages läuft der Kleinschmidt über zu denen. Solche wie der, die können gar nicht anders. Alles in ihnen läuft auf Ordnung hinaus, ihre Herkunft, ihr Zuhause, und was sie lernen auf ihren Oberschulen, es läuft alles auf Regeln hinaus und Gesetzmäßigkeiten und Vernunftgründe, und es muß dann bloß einer kommen, der ihnen plausibel macht, daß sich wieder mal eine neue Ordnung verbirgt hinter der Unordnung, in der sie alle leben. Sozusagen ein höheres Prinzip. Da wurden sie dann ganz schnell weich. Keine Unordnung |289| ist schließlich groß genug, daß sich nicht einer findet, der sie erklären kann. Wenn sie aber eine Erklärung haben, die Intelligenzler, dann sind sie schon halb gewonnen.
In seiner Ecke aber saß der kleine Heckert, saß in seiner verschossenen Windjacke und dachte: Es müßte mal jemand einen Apparat erfinden, mit dem man sichtbar machen kann, was in zehn Jahren ist. Für meinen Teil kann ich mir das so ungefähr ausrechnen, wir wissen das ja so ziemlich sicher. Aber was nützt mir das, wenn ich es solchen wie denen nicht begreiflich machen kann? Was sein kann in zehn Jahren, das kann bloß sein, wenn solche wie die mitmachen. Wenn sie alle mitmachen, dann kann es vielleicht schon in fünf Jahren sein. Und wenn sie nicht mitmachen, dann knaupeln wir noch als Großväter dran ’rum.
Ja, dachte Hermann Fischer, das ist die Situation. Das ist die Situation, in der unser Parteitag zusammentritt. Kämpfe liegen hinter uns, Erfolge, und Mißerfolge auch. Und vor uns liegen wieder Kämpfe und Erfolge und Mißerfolge, aber es liegt an uns, die Siege zu erzwingen und die Niederlagen dem Gegner beizubringen. Das liegt an uns. Die Gewißheit bevorstehender Anstrengungen war in ihm, und er dachte: Ob der Kampf schwerer geworden ist oder leichter, das kann wahrscheinlich niemand
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