Rummelplatz
und Papierbranche eingestiegen, der Markt war günstig, die Produktion war es nicht. Es fehlte an Fachleuten, vor allem in der Erzeugung. Die Sache war nun die: Der DCG, deren Belange Hollenkamp vertrat, hatten seinerzeit auch einige Papierfabriken angehört, sämtlich in der Ostzone gelegen, die größte in Bermsthal, einige kleinere in Kutschbach, Heidelgrün und im Osterzgebirge. Natürlich zahlte die DCG, wie fast alle Konzerne, ihren ehemaligen leitenden Mitarbeitern, die bis auf weiteres drüben geblieben waren, weiterhin die Gehälter aus auf Sonderkonten. Der Osten, aus Mangel an Spezialisten, war auf die vormaligen Konzernangestellten angewiesen. Für diese Leute nun interessierte sich Gomringer. Der Aufsichtsrat der DCG war nicht abgeneigt, die Leute zurückzubeordern; die Papierindustrie berührte |337| die Interessen der DCG ohnehin nur am Rande. Ein paar Briefe genügten, in Bermsthal und Heidelgrün würden die Koffer gepackt, eine kleine Reise nach Berlin – und in spätestens vierzehn Tagen waren die Leute per Luftbrücke ausgeflogen. Die Unkosten übernahm Gomringer, deckte auch die Sonderkonten ab, rückwirkend bis Juni fünfundvierzig. Nur: für die DCG war das ein reines Parigeschäft, eine Gefälligkeit sozusagen. Man hatte Gomringer Bermsthaler Aktien angeboten, Altbestände vom seligen Kommerzienrat Nüßler, aber Gomringer war natürlich nicht eingestiegen. »Solange sich niemand findet, der mir die Wiedervereinigung noch zu meinen Lebzeiten garantiert …« Gomringer war vierzig. Immerhin hatte er zwei Prozent Anteile seiner Schwarzwälder Papier-AG geboten.
»Dreieindrittel«, meinte Hollenkamp. »Da Sie ohnehin nicht alt werden wollen.«
»Aber lieber Doktor«, sagte Gomringer freundlich. »Es ist mir ein Vergnügen.« Er trank seinen Kognak aus, deutete eine Verbeugung an, schlenderte zum Haus zurück. Er fuhr nicht schlecht dabei, die Leute waren zuverlässig, und im Schwarzwald konnten seit Wochen zwei nagelneu aufgebaute Maschinen nicht in Betrieb genommen werden, Gomringers erster Neubau.
»Was mir nicht ganz eingeht«, sagte Hollenkamp nun zu Servatius, »ist euer Interesse an der Sache. Es müßte euch doch lieber sein, wenn die Leute drüben bleiben. Eines Tages werden wir sie brauchen.«
»Die wachsen nach«, sagte Servatius zuversichtlich. »Bei den Lebensbedingungen drüben, und immer vor Augen, wie sie hier vorankommen könnten … Außerdem: es ist ein interessanter Testfall. Die investieren drüben unheimlich in die Schwerindustrie, gezwungenermaßen, und wahrscheinlich übernehmen sie sich dabei. Die Leichtindustrie ist aber kaum weniger anfällig. Wie es aussieht, brechen sie sich bei Stahl und Chemie von selber das Genick; in der Leichtindustrie müssen |338| wir ein bißchen nachhelfen. In ein, zwei Jahren, schätze ich, haben wir sie so weit.« Er legte die Hand auf Hollenkamps Arm. »Dieser Ostberliner Parteitag kürzlich – es ist eben nicht nur, daß die Herren Genossen ihre Reihen säubern, und die übrige öffentliche Mimikry, das ist bloß die eine Seite. Hinter der Kulisse versuchen sie, mit aller Gewalt die Wirtschaft hochzubuttern. Das ist ihre einzige Chance, ihre letzte.«
Indessen war es hohe Zeit. Servatius sah durch die Verandatür in das Halbdunkel der Diele. »Abt ist da«, sagte er. »Es scheint loszugehen.«
Sie gingen ins Haus zurück, tatsächlich war Abt eingetroffen, auch Claussner und der Minister. Man versammelte sich um den berühmten Konferenztisch, einige saßen bereits, der große Menger, endlich von der Opposition befreit, Bratfisch, des Sessels ledig, Hochwürden Prunz begab sich des Anblicks der Ikone. Schlicker war übrigens auch da, der kleine Lücke bat den Hausherrn, man möge doch das Rauchen einstellen, Gutermuth sank auf seinen Stuhl und war sofort eingeschlafen. Apropos Gutermuth: ihn hatte es ja nun erwischt; vergangenen Monat war sein Schwiegersohn der Zonenstaatssicherheit in die Hände gelaufen. Er hatte beschlagnahmte Vermögenswerte mit großem Geschick westwärts transferiert, war aber unversehens über einen schlichten, im Kaufmännischen gänzlich unbeschlagenen Parteifunktionär gestolpert. Im Zuchthaus Waldheim fand er nun Gelegenheit, die blinden Schicksalsschläge zu beklagen – vielleicht auch zu verwinden mit der Zeit.
Endlich saß man. Abt, der Greis, und Prunz, der Greis, umrahmten Töpfner, den Minister. Dieser gab Servatius ein Zeichen, das er von Abt erhalten, Servatius gab’s der Opposition, die es
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