Rummelplatz
nachgehen, seinen Krätzer trinken und sein Weib schwängern von Zeit zu Zeit, wenn nur die großen Züge nicht so herablassend getutet hätten und die Sprengel rechts und links sich so herausfordernd gemausert, und man hatte schließlich etwas aufzuweisen. Villenviertel und eine Universität und etliche Ruinen und hundertdreißigtausend Söhne und Töchter der Tiefebene und einen toten Tonsetzer namens Beethoven. Das ungefähr muß der Punkt gewesen sein, an dem sich ein paar unternehmende Köpfe der alten rheinischen Witze vom kleinen König entsannen. Der kam gern, und weil die Aula der pädagogischen Akademie gerade ungenutzt stand, kam auch der Deutsche Bundestag, Uniformierte kamen, und ein emsiges Bauen hub an, und dann kamen wirklich alle, alle, nur die Nutten kamen nicht, wie man bedauernd feststellte, aber das horizontale Gewerbe hat nun mal einen feinen Sinn fürs Reelle. Immerhin hielten nun die Züge, sogar in dem feinen kleinen Godesberg, und die heimelnde Schläfrigkeit wurde eine betriebsame, sogar in dem feinen kleinen Rhöndorf, und das ist, wie man aus den Schullesebüchern weiß, noch allemal der Anfang der Neuzeit. Wahrlich, dachte Hollenkamp, bei uns entscheiden nicht die Vorzüge, sondern die Einwände, wie sich der alte Rathenau ausdrückte, und das war, weiß Gott, ein kluger Mann.
Irene fuhr den Wagen die schmale Auffahrt hinauf vor das Portal der Fährhahnschen Villa. Da standen schon ein |335| paar Opel und zwei schwarze Mercedes und ein konservativ dreinschauender Rolls Royce, die Chauffeure waren ausgestiegen, saßen auf dem Rasen in der Sonne und spielten Domino. Einer trug Schaftstiefel und eine Schirmmütze, was einen hübschen Kontrast zur Landschaft abgab. Sie blieben sitzen, als Hollenkamp ausstieg, tippten sich aber mit zwei Fingern ein bißchen an die Stirn, wie man das in den Filmen sehen kann, die immerfort übers große Wasser kommen. Hollenkamp zwinkerte Irene zu und sagte: »Lola, Sie können sich heute einen freien Tag machen, ich brauche Sie nicht mehr.« Sprach’s und schritt gemessen davon.
Das Haus war kühl, die Zimmer schattig, in eins der schattigsten trat Hollenkamp. Da saßen sie schon, bei kalten Obstsäften, lediglich Gomringer nahm vormittags Alkoholisches, saßen Nimmrodt und Gutermuth, Fährhahn und Balzer; Abt, der Mann der Finanz, war noch nicht zu entdecken, auch nicht der Minister Töpfner, aber dort stand Servatius, sein Staatssekretär. Im Hintergrund sah Hollenkamp den großen Robert Menger im stillen Gespräch mit dem kleinen Lücke, nicht weit davon quoll Bratfisch aus einem Sessel, und an der geöffneten Bibliothekstür, denn Fährhahn liebte Durchblicke, betrachtete Ehrwürden Prunz altrussische Ikone, denn Fährhahn sammelte diese. Noch fehlten aber Claussner und Schlicker und ein paar weitere wichtige Leute.
Hollenkamp begrüßte Servatius und wurde vom Hausherrn begrüßt. »Sehen Sie mal«, sagte Fährhahn, »unseren Doyen auf Gemeindeebene, wie er sich anschleicht.« Er deutete nach hinten, wo sich Nimmrodt, der Mann der Opposition, an den großen Robert Menger heranmachte. Bundestagsbuffo Nimmrodt, vor drei Jahren noch gemäßigter politischer Emigrant, betont zurückhaltend und stehend vor dem sitzenden Menger, vor zwei Jahren noch Kriegsverbrecher und aus dem Nürnberger Gefängnis entlassen dank seiner guten Ärzte.
|336| »Zustände!« sagte Fährhahn. »Probieren Sie mal den Orangensaft, der ist blutfrisch.«
Als er gegangen war, sagte Servatius: »Wir können ein bißchen rausgehen, fünfzehn Minuten wird’s noch dauern.« Er nickte zu Gomringer hinüber, der erhob sich und kam mit seinem Kognakglas.
Sie gingen auf die Terrasse. Dieser Gomringer, dachte Hollenkamp, ist auch einer von diesen neuen Typen: unverfroren, hemdsärmlig, up to date. Er gab ihm die Hand. Sind verdammt schnell hochgekommen in den paar Jahren, diese Burschen, dachte er. Das ist auch so ein Novum. Achtzehn war der Massenbankrott nicht aufzuhalten, aber heute gehen wir schon wieder in Hochkonjunktur, und die Kerle werden alle stinkreich über Nacht. Das macht: an der Elbe hat sich der Kommunismus installiert. Hätte er’s nicht, würden die Alliierten vermutlich ein bißchen anders mit uns umspringen. Na, sie springen auch so gerade genug.
»Es ist Martell«, erklärte Gomringer und nippte an seinem Glas. »Nun, wie stehen unsere Chancen?«
»Hm«, meinte Hollenkamp. »Wir erwägen.«
Erwogen war natürlich alles längst – Gomringer war in die Druck-
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