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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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angesehen, aus dem siebzehnten Jahrhundert. Das muß ja ein gemütlicher Krieg gewesen sein, damals.«
    Das weiße Schiff war nun so nah, daß man die Einzelheiten an Deck erkennen konnte. Man sah nun auch: es war gar nicht weiß, sondern hellgrau. Die Brücke war sehr weit nach dem Heck verlagert, ein Gewirr von Masten, Ladebäumen und Seilwerk über Deck, Windenhäuser und Ladewinden, Stage und Antennen, am Heck die Flagge Norwegens, das blaue Kreuz auf rotem Grund. »Ein Tanker«, sagte Nickel. Häring widersprach: »Blödsinn, is ’n Frachter. Motorschiff. Die Serie kenn ich noch von der KM her. Erzfrachter. Die |353| Schweden bringen ihr Erz mit der Bahn nach Narvik, und von dort geht’s auf norwegische Schiffe.«
    »Das wußte ich nicht«, sagte Nickel. »Sie sind bei der Kriegsmarine gewesen?«
    »Bei der OT. Aber wir hatten diese Kästen manchmal als Truppentransporter. Einmal ist so ein halber Geleitzug auf einen Ritt abgesoffen. Wir saßen im Laderaum und wußten nicht, was draußen vorging. Die reinsten Särge …« Es sah so aus, als wollte Häring seine Kriegsabenteuer zum besten geben; ein bißchen Stolz, ein bißchen Schrecken, die Decke der Jahre war dünn zwischen Krieg und Gegenwart. Aber er winkte ab und sah aufs Meer hinaus. Nickel dachte: Einem anderen hätte er es bestimmt erzählt. Er spürte plötzlich wieder die Kluft zwischen sich und den anderen.
    Die kleine Gesellschaft links war inzwischen bei Witzen angelangt. »Bilde mal einen Satz mit Konzert und Feldmütze.« Einer setzte die Bierflasche ab und sagte: »Kohn zerrt seine Alte übern Saal und fällt mit se.« Sie lachten und prosteten sich zu. Nickel fand ihr Gelächter albern.
    Das weiße Schiff war unterdessen hinter der Insel verschwunden. Voraus tauchte die Anlegestelle auf, eine Baumgruppe, ein paar Häuser. Auf einer kleinen Anhöhe, dem offenen Meer zu, erhob sich der Leuchtturm. Die Möwen, die das Schiff während der ganzen Überfahrt begleitet hatten, zogen hinüber und vereinigten sich mit den anderen, die schon dort waren. Man sah jetzt auch Menschen auf dem Anlegesteg, ganz vorn einen vollbärtigen Alten mit kühn geknickter Schiffermütze. Die See lag wie flüssiges Metall in der Bucht, nur in Ufernähe wurde sie dunkler, und hinter dem schmalen Streifen war sie weiß und schaumig.
    Ruth war aufgestanden und beobachtete das Anlegemanöver. Von der Brücke her hallten Glockenschläge, die Maschine lief gedrosselt, das Schiff verlor an Fahrt. Dann dröhnte die Maschine noch einmal voll auf, und die Fähre schob sich leicht seitlich an den Steg. Zwei Männer sprangen an Land |354| und zurrten die Seile fest. Ein dritter stieg mit einer Heckleine hinüber. Die Fallreeps wurden ausgelegt.
    Die Menschen drängelten wieder, stauten sich an der Treppe zum B-Deck. »Sachte, sachte«, sagte Häring. »Laßt erst die runter, denen es nicht schnell genug geht.« Er hatte auf der Uferstraße die Omnibusse entdeckt und dachte: Wem es jetzt zu langsam geht, der muß eben im Bus warten. Hier ist wenigstens frische Luft.
    Sie waren unter den letzten, die von Bord gingen. Der bärtige Schiffer stand noch immer auf dem Steg, eine erkaltete Pfeife zwischen den Zähnen. Er war gar nicht so alt, wie er von weitem ausgesehen hatte. Von der Kaimauer führten Stufen zum Wasser hinab, dort lagen ein Motorkutter und ein Segelboot und mehrere kleinere Boote. Die Mauer verlief nach drei-, vierhundert Metern im Sand, dort waren Boote auf den Strand gezogen, einige lagen kieloben, Netze lagen ausgebreitet oder über Stangen und Böcke geworfen. Die See leckte leicht an den Ufern. Ein Hund schnappte nach einem Fisch. Die Omnibusse hupten ungeduldig.
     
    Das »Ernst-Schneller-Heim« hatte bis 1945 den Grafen Küstrin gehört und Schloß Seehaus geheißen. Die Grafen von Küstrin waren eine weitverzweigte ostelbische Junkerfamilie, zersplittert in einige mehr oder minder verarmte Seitenlinien und die beiden letzten eigentlichen Küstrins, Bodo und Walter, die seit Kriegsende in Westberlin und irgendwo am Main lebten. Walter Graf Küstrin, der letzte Besitzer von Schloß Seehaus, das eigentlich mehr eine großangelegte Villa war denn ein Schloß, hatte sich vor einem Jahr in einem Brief an den ehemaligen Gemeindevorsteher des Dorfes nach dem Haus, den Möbeln und den Leuten erkundigt. Der Mann hatte den Brief dem Heimleiter gegeben – nun hing das blaßgelbe Papier, mit dem gedruckten Krönchen derer von Küstrin und den steilen Schriftzügen, zur

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