Rummelplatz
Männer. Der eine war ihr fremd, der zweite jedoch kam ihr bekannt vor, und als sie näher heran war, sah sie, daß es tatsächlich Nickel war. Sie winkten ihr zu und riefen etwas, das sie nicht verstand. Sie schwamm, bis sie den Grund unter sich sah. Dann richtete sie sich auf, so, daß das Wasser noch ihre Schultern bedeckte.
»Hallo«, rief Nickel. »Wie ist das Wasser?«
»Großartig. Kommen Sie doch rein.«
Nickel hob hilflos die Schultern. »Geht nicht. Keine Badehose.«
Sie lachte. »Macht nichts. Kommen Sie doch so.« Es war ja auch zu komisch, daß da gleich noch einer ohne Badezeug herumspazierte, ausgerechnet an der Ostsee. Aber die beiden rührten sich nicht, starrten nur herüber und schienen auf irgend etwas zu warten.
»Umdrehen!« befahl Ruth. Und da sie sich noch immer nicht rührten: »Umdrehen. Augen zu. Ich will raus.« Da schienen sie endlich zu begreifen. Sie gingen ein Stück vom Ufer weg und guckten sich das Schilf an, als gäbe es da wunder was zu sehen.
Sie lief rasch an Land, rieb sich mit der Strickjacke trocken und zog sich an. Sie brach einen Ast aus den Büschen und hängte die Jacke darüber. Dann rief sie die Männer.
Nickel stellte den Fremden vor, der sie nicht ansah, als er ihr linkisch die Hand gab, ein junger Fischer aus der Gegend hier, Nickel hatte ihn auf seinem Spaziergang getroffen. Ruth |358| kämmte sich das Wasser aus dem Haar. Die Männer schwiegen.
»Wie spät ist es denn?« fragte Ruth. »Ich habe einen erbärmlichen Hunger.« Es war kurz vor zwölf.
Es zeigte sich, daß es einen viel kürzeren Weg zum Heim gab, als den, auf dem Ruth gekommen war. Sie schulterte den Ast, von dem die Jacke herabhing, ging zwischen den Männern.
Der Fischer sagte: »Schwimmen Sie lieber nicht so weit hinaus, wenn Sie allein sind. Die Ecke hier hat’s in sich.« Er sprach das singende Platt der Insel dünn und hoch, als befände er sich im Stimmbruch. Ruth sah ihn nun genauer an, er war braungebrannt und kräftig, das Haar wirr und weißlich hell, sie sah: er war jünger als sie, drei Jahre bestimmt. Er wich ihrem Blick auch beim Sprechen aus. Und dann verabschiedete er sich plötzlich fast unwirsch, stakte hölzern in einen Seitenpfad.
Als sie ein Stück weiter waren, sagte Nickel: »Das ist nämlich sein Privatstrand hier. Da unten soll ein versenktes U-Boot liegen. Er taucht da immer hinunter und bringt so allerlei Sachen herauf, er wollte es mir vorführen.« Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Immerhin ist das kein Grund. Er war richtig böse. Ich glaube fast, er hat sich in Sie verliebt.«
»Sie haben aber Einfälle«, sagte Ruth. Dann lachte sie hellauf. »Das wäre der erste.«
»Hm«, machte Nickel. »Bestenfalls der zweite.«
Sie sah ihn überrascht an.
»Ach nichts«, sagte er. »Geben Sie mir mal den Ast.«
Als sie ins Heim kamen, baumelte ihre nasse Strickjacke immer noch auf seinem Rücken. Ruth dachte: Nur gut, daß ich mich nicht mit dem Unterrock abgetrocknet habe. Sie hatte das Gefühl, daß irgend etwas völlig Verrücktes geschehen sei. Aber was? Oder war es ganz einfach der Urlaub? |359| Während des Essens war Nickel sehr still. Er hatte keinen Appetit, stocherte unlustig in seinem Gulasch. Häring sagte: »Das ist der Luftwechsel. Bei mir schlägt das auch immer auf den Magen.«
Auch Ruth war still. Mehrmals sah sie ihn an, aber er beugte sich sofort über seinen Teller, wenn er ihren Blick spürte. Dabei dachte er die ganze Zeit an sie, nicht seit heute erst, ihm schien, sie habe ihm von Anfang an gefallen – mehr als jede andere. Ihr Mut hatte ihm imponiert und ihre Geradheit, und eines Tages hatte er plötzlich bemerkt, daß sie schön war. Daß sie damals, nach ihrem Fiasko als erster Gehilfe, nicht aufgab, hatte ihn bestärkt. Er hatte es im Grunde auch nicht anders erwartet; er kannte ihre Personalakte, wußte, wer ihr Vater war, und konnte sich denken, was sie erlebt haben mußte als Kind, er hatte gedacht: Die schafft es – oder keine. Und dennoch war sie ihm immer ein bißchen rätselhaft geblieben, etwas war an ihr, das er nicht verstand. Sie waren seit einiger Zeit ganz gut befreundet miteinander, wenigstens wie er es sah, und bestimmt hatte beispielsweise in der Jugendgruppe der eine oder andere bemerkt, daß die Ruth Fischer dem Jugendfreund Personalleiter nicht gleichgültig war – nur sie hatte das nie bemerkt. Sie standen zueinander in einem Verhältnis, wie es der Oberwerkführer dem Personalleiter einmal am Machonzylinder
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