Rummelplatz
Bootskörper, er bewegte sich kaum; das Wasser, das immer wiederkam, zerrte an ihren Füßen und zerrte auch das Boot immer wieder zurück. Nach einer langen Ewigkeit schafften sie es aber doch, sie vertäuten das Boot zwischen den Pfählen, die am Dünenende in den Boden gerammt waren; dort, wo die Grasnarbe begann.
Die anderen gingen langsam wieder ins Haus zurück; Ruth und Nickel aber standen noch lange auf der Veranda, nahe beieinander, allein. Sie sprachen beide nicht. Beiden war es, als warte der andere auf etwas, und beide dachten sie, daß das, worauf sie warteten, schon da sei.
Dann kam Häring heraus und fragte, ob sie eine Runde Rommé mitspielten. Er hatte sie überall gesucht. Sie setzten sich in den Klubraum – auch an den anderen Tischen wurde gespielt: Skat, Rommé, Doppelkopf, Schach, Mensch ärgere dich nicht, Halma. Wenn die Reihe an Nickel war, mischte Ruth für ihn die Karten – und sie spielte nach Möglichkeit so, daß er beim Ablegen in Schwierigkeiten kam. Die anderen merkten das natürlich, und Häring sagte denn auch: »Was sich neckt, das liebt sich!« Nickel wurde rot darüber, er schielte verlegen zu Ruth hinüber, aber sie blinzelte ihm verschwörerisch zu, und es war nun, als sei ein Bekenntnis abgelegt worden, vor allen.
Später tranken sie zu viert noch eine Flasche Wein, sie waren heiter und ausgelassen, lachten herzhaft, auch über die belanglosesten Kleinigkeiten – bei alldem war aber immer ein verborgener Ernst zwischen ihnen und eine bange, prickelnde Erwartung. Sie saßen bis kurz vor Mitternacht, dann gingen die Härings schlafen. An diesem Abend brachte Nickel |365| Ruth bis zur Treppe, die hinauf in ihr Zimmer führte; sie standen lange an das Geländer gelehnt, sie zwei Stufen höher als er, sprachen wenig und ließen große Pausen. Als er ihr gute Nacht sagte, hielt er lange ihre Hand. Sie lächelte und ging dann schnell hinauf.
Der Sturm hatte den ganzen Abend gedauert und dauerte auch die ganze Nacht. Ruth lag noch lange wach; sie hörte das Meer draußen vor den Fenstern und den Sturm, hörte die unbekannten Geräusche, ganz nahe und sehr ferne; alles ringsum schien ihr verzaubert. Manchmal hatte sie sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn jemand käme und sagen würde: Ich liebe dich. Sie hatte immer gelächelt dabei und gewußt: So, wie sie es sich vorstellte und wie sie es manchmal in einem Buch gelesen hatte, würde es nicht sein. Das Leben war anders; im Leben kam niemand plötzlich daher. Und immer und von all ihren Freunden und Bekannten hatte sie gewußt, daß der Mann, den es vielleicht eines Tages geben würde, nicht einfach so sein konnte, wie sie alle waren. Wie er aber sein würde, das hatte sie nicht gewußt. An ihn, Nickel, hatte sie dabei nie gedacht. Seit jenem Morgen in der Bucht aber fühlte sie sich seltsam hingezogen zu diesem großen Jungen, von dem sie wußte, daß er es sehr schwer hatte gegen die anderen im Betrieb, und daß er sehr allein war. Und seit gestern abend wußte sie, daß sie froh darüber war und daß die unbestimmte Erwartung der letzten Tage die Erwartung dieses Augenblicks gewesen war.
Am anderen Morgen brachte der Heimleiter während des Frühstücks den Wetterbericht. Der ›steife Wind‹, wie er sich ausdrückte, würde vorerst noch anhalten, den Regen aber sei man für heute los. Ruth sagte: »Das richtige Wetter für einen Spaziergang.« Nickel rührte in seinem Tee und sagte nichts. Da hielt sie seine Hand fest und sagte: »Und wenn es doch regnen sollte, tragen Sie mir wieder die Jacke, ja?« Er nickte ernsthaft – die lustigen Pünktchen in ihren Augen konnte er nicht sehen.
|366| Ruth hatte eine feste Leinenjacke angezogen – Nickel erschien in seinem schlechtsitzenden Regenmantel. Er wußte, daß er keine gute Figur abgab, und benahm sich gezwungen. Ruth war neugierig. Sie hatte ein bißchen Herzklopfen, aber keinerlei Scheu und schon gar keine Verlegenheit. Sie wußte auf einmal, daß sie Vertrauen zu ihm hatte.
Auf den Wegen stand in großen Tümpeln das Regenwasser. Nickel half ihr jedesmal behutsam hinüber. Sie aber war voller Übermut. Als sie an einen besonders großen Tümpel kamen, tat sie, als glitte sie aus, und als er sie stützen wollte, standen sie auf einmal beide bis zu den Knöcheln im Wasser. Sie sah sein verzweifeltes Gesicht und mußte lachen. Da lachte endlich auch er. Sie standen mitten in diesem Wassertümpel und lachten, bis ihnen die Tränen über das Gesicht liefen.
Dann
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