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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Künstler angetan. Das war endlich mal einer, der die Feinheiten ihrer Arbeit zu schätzen wußte. Nach einer halben Stunde war Häring überzeugt, |362| einen der schönsten Berufe der Welt zu haben, und nach weiteren fünfzehn Minuten unterhielt er sich mit dem Maler über Dinge, über die er sich sonst nie nach so kurzer Zeit mit einem ihm doch Unbekannten unterhalten hätte: über die Familie, über seine Erlebnisse und sein Leben, seine kleinen Liebhabereien – es zeigte sich, daß Bauerfeldt genauso wie er mit Erfolg Holländerkaninchen gezüchtet hatte –, über Betriebsangelegenheiten und sogar über Politik. Häring meinte, mit den sozialen Aufwendungen, das sei alles ganz schön, Urlaubsheime, gleicher Lohn für gleiche Leistung und so, dagegen wolle er nichts sagen. Aber im Westen gehe es eben aufwärts, die Läden seien schon wieder gefüllt, die Sachen hätten Qualität und ein ordentliches Aussehen – nicht so ein Behelfskram, wie er hier überall gemacht würde – da sehe man eben, daß die Leute dort etwas von ihrer Sache verstünden. Hier dagegen würde überall herumgemurkelt; Schuster als Betriebsleiter, Bäcker als Bürgermeister, das könne ja nicht besser gehen. Bauerfeldt hörte ihm aufmerksam zu und fragte dann, ob Häring einmal drüben im Ruhrgebiet gewesen sei. Ja? Er, Bauerfeldt, sei auch dort gewesen, bis siebenundvierzig, und vorher sei er in der Emigration gewesen, in England, einige Jahre davor, habe er in Newcastle gelebt, einem bedeutenden Industriezentrum. Ob Häring wisse, was ein Hochofen sei? Nun, nach fünfundvierzig habe es in Westdeutschland 120 Hochöfen gegeben, auf dem Gebiet der DDR aber, das ein Drittel Deutschlands ausmache, nur fünf. Und mit anderen Dingen sei es ähnlich. Industrie habe es nur in Sachsen und Mitteldeutschland gegeben – aber in diesem riesigen Mecklenburg, in der Mark und in der Lausitz, in Thüringen und Ostsachsen, da habe es schon früher nur so kleine Krutzscher gegeben, Häusler, Landarbeiter – und Rittergutsbesitzer. Das müsse man halt berücksichtigen, »Wissen Sie«, sagte Bauerfeldt, »bis fünfundvierzig war dieses Ostdeutschland nichts weiter als ein riesiges Kartoffelfeld.«
    |363| Häring sah das riesige Flachland vor sich, durch das sie vor einigen Tagen mit der Bahn gefahren waren, Brandenburg und Mecklenburg, und er mußte dem Maler ein bißchen recht geben.
    Das also war der ›ganz prächtige Mensch‹, den Ruth Fischer entdeckt hatte. Nickel, obschon er in diesem Gespräch kaum zum Zuge gekommen war, mußte sich eingestehen, daß der Maler auch ihm imponiert hatte.
    Über alldem war eine Woche vergangen, zwischen ihm und Ruth aber war noch immer alles unklar. Dabei kümmerte sie sich um ihn mit einer rührenden Selbstverständlichkeit, die ihn verlegen machte. Beim Frühstück zum Beispiel schnitt sie ihm die Brötchen auf, strich Butter auf die Hälften und schob sie auf seinen Teller, sie hatte einfach nicht mehr mit ansehen können, wie seine verletzte Hand sich ungeschickt mit dem Messer abmühte. Er aber wurde jedesmal rot dabei, wußte nicht, wohin mit den Händen, vergaß vor lauter Verlegenheit meist, sich zu bedanken. Vielleicht hätte er nie den Mut gefunden, etwas zu sagen, wenn nicht diese beiden Schlechtwettertage gekommen wären.
    Schon am Nachmittag waren Sturmwolken aufgekommen, waren größer und dunkler geworden, die Sonne verschwand. Die Wolken hingen tief herab in großen schwarzen Knäueln, es war, als streiften sie das Meer. Dann verstärkte sich der Wind, und der erste Regen fiel, die Wellen türmten sich immer höher und schlugen weit herauf aufs Land, der Sturm nahm zu von Minute zu Minute.
    Ruth und Nickel waren auf die glasgedeckte Veranda des Heimes hinausgegangen, mit ihnen auch viele andere Urlauber, sie beobachteten das fremde Schauspiel. Es hatte sich aber so getroffen, daß Ruth und Nickel ganz am Ende der langen Veranda standen, abseits von den anderen, und keiner von beiden wußte genau, ob und wieviel er selbst dazu getan hatte.
    Draußen sprang das Meer an das Land, drei, vier Männer wateten den Strand entlang, in einem von ihnen erkannten sie |364| den Heimleiter. Sie waren in lange Wettermäntel geknöpft und hatten die Kragen hochgeschlagen. Sie gingen zu dem Boot, das dem Heim gehörte. Die Sturmwellen rollten nun schon bis zum Liegeplatz des Bootes herauf, und wenn der Sturm zunahm, würde es sicher losreißen. Die Männer stemmten sich mit aller Kraft hinter den schweren

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