Rummelplatz
fragte sie: »Wo gehen wir eigentlich hin?«
»Ich weiß nicht«, sagte er ratlos.
»Aber ich. Wir gehen zu meinem Liebhaber – Sie wissen doch noch?«
Das Wasser in ihren Schuhen quietschte bei jedem Schritt. Hier, im niederen Holz, war der Wind schwächer, aber jedesmal, wenn sie eine ungeschützte Stelle erreichten, warf er sich auf sie, zerrte an Kleidern und Haaren und drückte schmerzhaft auf die Trommelfelle. Das mächtige Rauschen in ihnen verzehrte jedes andere Geräusch.
Sie kamen an die Küste, die dem offenen Meer zu lag. Nickel wunderte sich, daß Ruth wußte, wo der Fischerjunge wohnte, und daß sie alle Wege hier zu kennen schien. Sie schien in den wenigen Tagen die ganze Insel ausgekundschaftet zu haben.
Das Haus lag auf einer Anhöhe. Es gab hier auf der Meerseite nur dieses eine Gehöft, so weit man sehen konnte, es stand dicht an den Büschen, die sich bis hinüber zum Leuchtturm zogen. Die Fensterläden waren geschlossen, auf dem Schornstein zeigte sich kein Rauch. Sie klopften an das Tor |367| zwischen dem Haus und dem niedrigen Seitengebäude, aber es öffnete niemand. Dann klopften sie an die Fensterläden, gingen zur Giebelseite, klopften auch dort.
»Was nun?« sagte Nickel.
Ruth meinte: »Wenn sie nicht hier sind, dann sind sie drüben am Leuchtturm.«
Der Leuchtturm war näher, als Nickel vermutet hatte. Sie durchquerten die Waldspitze, und plötzlich stand er vor ihnen: grau und aus der Nähe gar nicht mehr so majestätisch, wie er damals bei der Ankunft von der Fähre her ausgesehen hatte. Am Fuße des Turmes stand ein Schuppen, eine Blechröhre auf dem Dach, der Wind zerzupfte den Rauch.
Die Tür war nur angelehnt. Sie traten ein – drin war es dunkel, Nickel sah zwei Männer, konnte die Gesichter jedoch nicht erkennen, aber der eine war der Fischerjunge, das sah er. Der andere, gebeugte, saß im Hintergrund am Fenster, das Öfchen neben sich, er hantierte an einer Literflasche über einem Tisch, der mit Töpfen und Werkzeugen vollgepackt war. Ruth kannte den Alten, sie zog Nickel nach hinten, setzte sich neben das Öfchen und fragte, ob sie ein bißchen zusehen dürften. Der Alte nickte. Dann zog Ruth ihre Schuhe aus und hielt die nassen Strümpfe in die Ofenwärme. Sie forderte auch Nickel auf, aber der lehnte ab.
Indessen ließ der Alte eine Dreimastbark durch die grüne Literflasche segeln. Das Meer war aus Fensterkitt und Farbpulver, und der Alte ließ das Schiff mit umgelegten Masten durch den Flaschenhals fahren. Er drückte den Rumpf in den Kitt, dirigierte den Kurs mit langen Drahthaken, bis der Bug auf eine Woge zu liegen kam, er war zufrieden und drückte das Heck tief und fest ein, und dann begann er langsam die Masten mit den Segeln hochzuziehen, an einem Faden, der durch den Flaschenhals herauslief. Es war ein prächtiges Schiff, und es war auch ein ordentlicher Seegang, und in den Regalen neben dem Fenster stand noch eine ganze Flotte von Flaschenseglern, denn die Urlauber hatten in diesem Sommer |368| wenig gekauft. Eine große Flaute war über das Geschäft gekommen. Am besten waren noch die Aufgelaufenen gegangen, das waren jene, die vor einer Südseeküste aus verschiedenfarbigem Kitt lagen, einer Landschaft aus bunten Schilfpalmen und Strohfaktoreien und Kieselfelsen; eine Barkasse, die noch mit zwei Drähten in den Davits hing, hatte gerade leicht aufgesetzt.
Also schilderte der Alte die Geschäftslage in der Andenkenmanufaktur, indes er emsig weiterwerkelte. Er hatte eine dicke Kerze vor sich, daran er seine Stahlnadeln erhitzte; er brannte Löcher in Schiffsrümpfe und zog Leinen ein, er takelte auf und flaggte hoch in den Toppen, er setzte Boote aus und Einbäume, Kanus und Küstenkutter, er bewegte Meere und Ufer und bevölkerte sie mit Negern, Palmen und Schiffbrüchigen, mit friedfertigen Kauffahrern und kriegerischen Linienschiffen, Korvetten und Fregatten, hanseatischen Koggen und welschen Karavellen, mit Drei- und Viermastern, er ließ Stürme entstehen und besänftigte sie wieder, Orkane, Taifune, Monsune und blaue Flauten, er rauchte seine Pfeife und versah Schoner mit Namen, Briggs mit Nationalitäten, Barken mit Heimathäfen, und zuletzt drückte er immer die Fadenenden in den Kitt und verkorkte das Andenken der christlichen Seefahrt.
Nickel war näher an das Regal herangerückt. Er hätte dem Alten gern eine Flasche abgekauft; aber die Zeitungen schrieben gerade viel über Kitsch und rote Sonnenuntergänge, und er wußte nicht so recht;
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