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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Tisch stützte. »Spiel dich nicht auf!«
    »Was ist denn los?« fragte Christian. Er wollte vermitteln. Er glaubte nicht, daß Seidel, sein alter Brigadier, sein Lehrer, daß Seidel nicht mehr der fluchende, unzugängliche, stillschweigende, helfende Kumpel sein wollte. »Was ist denn?« |374| fragte Christian. Und er wußte wirklich nicht, worum es ging.
    Solange die Brigade Seidel als einzige im Schacht Monat für Monat 180, 190 und 200 Prozent brachte, war die Norm sicher. Seidel wußte das, alle wußten es. Daß die übrigen Brigaden nicht über die 150 hinauskamen, war Seidels Glück. Und sie kamen beim besten Willen nicht darüber hinaus, obschon mancher gern gewollt hätte. Sie neideten Seidel die Lohntüte, aber im stillen fanden sie sich ab. Denn sie wußten: Falls noch eine zweite Brigade so hohe Überprozente bringen sollte, wurde die Norm für alle fraglich. Die Norm würde überprüft werden; alle Brigaden der Reviere I bis VI hatten Sondernormen, der ungewöhnlich schwierigen Arbeitsbedingungen wegen. Des zweiten Plus wäre aller Minus. An diese stillschweigende Übereinkunft hielten sich alle. Christian hielt sich nicht daran. Er hatte gar nicht daran gedacht. Loose und Krampe allerdings glaubten, ihr Brigadier habe den Kampf bewußt aufgenommen.
    »Tja«, sagte Loose, »jetzt wollen wir mal an die Krippe.«
    Aber Seidel war gekommen, um zu verhandeln. Er knurrte Loose an: »Großfresse!« Dann blinzelte er Christian zu und sagte: »Weil du’s bist, ein Angebot. Wir fahren diesen Monat hundertfünfzig. Ihr könnt fahren, soviel ihr wollt. Nächsten Monat machen wir’s umgekehrt.«
    Loose lächelte. »Otschen intressni.«
    »Und wenn wir einen schlechten Monat haben«, sagte Christian. »Ich kann das nicht vorher festlegen.«
    Seidel hob die Schultern.
    Da mischte sich Nothnagel ein. »Ich bin dafür. Warum sollen wir uns gegenseitig totmachen!«
    Loose sah Christian an. »Ich dächte«, sagte er langsam, »ich dächte,
du
bist der Brigadier …«
    Christian wußte: Wenn ich jetzt nachgebe, gewinne ich Seidel. Loose und Krampe aber würden mir das nicht nachsehen. Geb ich nicht nach, hab ich Seidel gegen mich. Das eine |375| wiegt so schwer wie das andere, es bleibt sich gleich. Er wußte aber schon, daß es ihm nicht gleich war. »Wir sind fürs Reelle. Wettbewerb. Ohne Schiebung. Aber wenn ihr Krieg haben wollt – wir lassen’s drauf ankommen.«
    Seidel starrte aus verkniffenen Augen. Für ihn existierte von der ganzen Zeka-Brigade nur Christian. Diesen Mann hatte er ausgebildet. Das ist das harte Gesetz des Lebens. Fast alles, was Christian wußte, wußte er von ihm, Seidel. Nun spielte er es gegen ihn aus. Er starrte Christian an, drehte sich dann hart um, ging.
    Sie sahen ihm nach, wie er sich durch die Tischreihen schob, mit breitem Rücken und eckigen Bewegungen. »Hat der auch nicht gedacht«, sagte Loose. Er war unbeeindruckt. Nothnagel hingegen zeigte sich angeschlagen. Seidel sei nicht der Mann, der sich das bieten lasse. Sie würden schon sehen, was sie davon hätten.
    Sie sahen es zwei Tage danach. Sie waren sehr spät eingefahren, Fischer hatte sie aufgehalten, er teilte ihnen zwei Neue zu. Kurze Unfallbelehrung, die Neuen kamen aus der Braunkohle. Auf der Hängebank trafen sie ihre Leute von der Nachtschicht, Paule Dextropur, Spieß und die anderen. Sie waren schon ausgefahren. »Alles in Ordnung«, sagte Dextropur.
    Zwanzig Minuten später waren sie vor Ort. Loose bemerkte die zerschnittenen Schläuche als erster. »Diese Schweine! Luftschläuche zerschneiden!« Auch die Schaufelbleche waren gestohlen. »Es geht also los«, sagte Krampe finster. Christian ging das Ort ab, dann schickte er Krampe zum Magazin, Schlauchschellen holen.
    Christian glaubte nicht, daß Seidel mit den zerschnittenen Schläuchen zu tun habe. Er traute ihm manches zu, das nicht. Aber er behielt seine Meinung für sich. Er ordnete lediglich an: »Ab heute wird vor Ort abgelöst.«
    Krampe kam nach einer halben Stunde mit den Schellen. Sie flickten die Schläuche. Nach einer Stunde kam Fischer. Er |376| leuchtete den Stoß ab, sagte dann: »Bei Seidel hat jemand die Luftschläuche zerschnitten. Kurz nach Schichtwechsel.« Christian sah Krampe an, aber der schüttelte den Kopf. »Bei uns auch«, sagte Christian. Fischer sah sich die Schnittstellen an. Er riet: »Behaltet es vorläufig für euch. Und macht die Augen auf.«
    Christian rechnete: Zehn Minuten sind es zum Magazin, zehn Minuten zurück. Krampe war

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