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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Zacharias erinnerte sich daran, mit welch guten Vorsätzen er als Kind das neue Jahr begonnen hatte; wirklich, das war völlig ernsthaft, er hatte an die Wundertätigkeit der Silvesternacht geglaubt; was das ganze Jahr über nicht gelungen war, beim Jahreswechsel mußte es dank dieser Wunderkraft gelingen. Ich will mir jeden Tag die Zähne putzen; ich will keine Äpfel mehr klauen; vor dem Bernhardinerhund bei Fleischer Dusenschön will ich keine Angst mehr haben …
    Was wird dieses neue Jahr bringen? Weniger Arbeit als das alte jedenfalls nicht. Morgen wird man sich mit dem Auftreten des CDU-Hickmann zu befassen haben, mit seiner Rede in Markkleeberg: ›Wir müssen die Kritik an Adenauer einstellen, wir müssen uns neutral gegenüber den westlichen Siegermächten verhalten.‹ Der Feind kommt also jetzt aus dieser Richtung. Bis jetzt haben sie sich nichts anmerken lassen, die Hickmann, die Rohner, die Fascher und Moog, bis jetzt waren sie für den Block, bis jetzt gingen sie mit uns. Aber nun lassen sie die Katze aus dem Sack, nun halten sie ihre Zeit für gekommen. Die FDJ paßt ihnen nicht, das Arbeiter- und Bauernstudium paßt ihnen nicht, die HO paßt ihnen nicht; und so was ist sächsischer Finanzminister; das sitzt in den Landtagen, in den Stadtverordnetenversammlungen, in |186| den Parteivorständen … Wahrhaftig: in diesem Punkt hat Polotnikow schärfer gesehen als ich, das schwimmt alles noch dicht unter der Oberfläche, und wenn wir einen Augenblick nachlassen, bricht es hervor. Es ist leider allzu wahr: wo wir nicht sind, da ist der Feind! Wo die Revolution nicht ist, da ist die Konterrevolution.
    Und wie haben sie uns nach dem Munde geredet! Als es gegen die Monopole ging, gegen die Kriegsgewinnler, die Junker, da waren sie für uns. Da haben sie geschrien: Nieder mit dem Imperialismus, nieder mit den Kriegsverbrechern, nieder mit Flick, mit Krupp, mit Pferdmenges, mit Lemmer und Kaiser! Natürlich, sie hatten den Krieg genauso mitgemacht wie ›die Großen‹, sie hatten genauso daran verdient; nun aber, da man verloren hatte, brauchte man erst einmal einen Sündenbock, und so wurde die Schuld ›nach oben‹ abgeschoben. Wir waren ja nur kleine Wirtschaftsleute, wir waren gezwungen, wir konnten doch nichts tun, und eigentlich waren wir ja schon immer dagegen. Weiß Gott, sie waren gar nicht für die Konzerne der anderen, sie waren nur für einen ›kleinen‹ Kapitalismus, für ihren eigenen Kapitalismus, eines Tages wäre schon wieder ein ›großer‹ daraus geworden; kommt Zeit, kommt Rat. Und irgendwie muß man eben leider den Proleten und den Russen ein bißchen entgegenkommen, also macht ruhig eure Schulreform, das kostet uns ja nichts; macht eure Bodenreform, auf die Dauer hält sich das sowieso nicht; enteignet ruhig die Monopole, es sind ja nicht unsere … Als aber die ersten tausend Traktoren aus der Sowjetunion kamen, da zogen sie lange Gesichter. Als die Reparationen gesenkt wurden, als die Aktivistenbewegung begann, als schließlich in Leipzig achttausend Leiter von Volkseigenen Betrieben, Aktivisten und Regierungsmitglieder das Profil der künftigen Volkswirtschaft berieten, die Übererfüllung des Zweijahrplanes, da sahen sie ihre Felle wegschwimmen, und nun wurden sie auf einmal sehr schnell munter. Entmachtung der Monopole? Einverstanden. Aber nur, wenn |187| wir dabei profitieren … Und so verschob der Herr Leo Herwegen, Minister für Arbeit in Sachsen-Anhalt, die beschlagnahmten Vermögenswerte der Deutschen Continentalen Gas-Gesellschaft in die Westzone. So tauchten sie wieder an die Oberfläche, der Generaldirektor Leopold Kaatz, der Direktor Hermann Müller, der Herr Friedrich Methfessel; und was da auftauchte, war in Wirklichkeit die IG-Farben, der Solvay-Konzern, die Großbanken, die DCG … Und ganz zufällig explodieren zur gleichen Zeit im Sprengstoffwerk Gnaschwitz die Anlagen, und zwar gleich dreimal hintereinander; ganz zufällig tauchen illegal bewaffnete Gruppen auf, die zufällig ein ehemaliger Oberst der faschistischen Abwehr leitet, ein braver Schwiegersohn der Schwerindustrie; ganz zufällig verschwinden Produktionsunterlagen Volkseigener Betriebe nach West-Berlin; ganz zufällig treten Produktionsstörungen auf, und selbstredend rein zufällig halten nun die Herrschaften ihre Reden im Landtag, in der Länderkammer, in den Stadtparlamenten. Da seht ihr doch, daß die Arbeiter keine Betriebe leiten können, sie ruinieren unsere Wirtschaft! Wir müssen den

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