Rummelplatz
kein einziger. Der Parteisekretär befand sich seit einem halben Jahr an einer Parteischule, er wurde vom BGL-Vorsitzenden vertreten. In der Betriebsparteileitung waren zwei Genossen, nämlich der Betriebsleiter – und Nickel selbst. Nickel war sowohl von der Hauptverwaltung als auch in der Kreisleitung vom ersten Tag an über die schwierige Lage in der Papierfabrik informiert worden, und vom ersten Tag an hatte er wiederholt auf seinen größten Herzdrücker hingewiesen, auf die Zusammensetzung des ingenieurtechnischen Personals. Im Grunde hatten die Genossen kaum Einfluß auf die unmittelbare Produktion, alle wichtigen Positionen im Produktionsprozeß und der technischen Leitung waren mit Parteilosen besetzt, es |214| waren samt und sonders die gleichen Leute, die vor fünf Jahren noch für die Deutsche Papier AG gearbeitet hatten. In der Hauptverwaltung hatte man versprochen, einen neuen technischen Leiter zu schicken, der jetzige gehe im Sommer ohnehin in Rente. Und der Kreissekretär hatte ihm erwidert, Nickel sei schließlich Personalleiter; bist du Gottes Sohn, so hilf dir selbst, hilfst du dir selbst, so hilfst du der Partei. Nickel hatte manchmal den Eindruck, daß die Genossen in der Kreisleitung auch nicht recht wußten, wie es weitergehen solle. Der zweite Sekretär hatte ihn eines Tages gar mit einem Satz abgespeist, der angeblich von Lenin sein sollte, in Wahrheit aber, davon war Nickel überzeugt, die Parteilinie geradezu revisionistisch verdrehte, nämlich: »Die Intelligenz muß man kaufen. Was denn sonst?« So also lagen die Dinge an übergeordneten Stellen; erklärlich, daß Nickel nicht eben glücklich war. Aber er würde sich durchbeißen, das stand für ihn fest; trotz alledem und komme, was da wolle …
Der Mann, zu dem er jetzt unterwegs war, der Produktionsleiter Dr. Louis Jungandres, war einer von Nickels härtesten Widersachern – oder genauer vielleicht: einer der unbekümmertsten Ignoranten. Er dirigierte, ohne sich um Nickels Solopart überhaupt zu kümmern; ordnete Personalumstellungen an und stellte den Personalleiter vor vollendete Tatsachen – und er hatte natürlich stets eine nachträgliche Begründung parat, die er frisch aus dem Handgelenk heraus erfand und die nicht zu widerlegen war. Da Nickel in Fachfragen wenig zu sagen wußte, konzentrierte er sich bei Neueinstellungen darauf, die Bewerber gewissermaßen auf ihr politisches Herz und ihre gesellschaftlichen Nieren zu prüfen; Jungandres wußte das und ließ sich von Tag zu Tag ironischere Redewendungen einfallen. Er pflegte beispielsweise zu sagen: »Höre Se mal, isch habe da den Dingsda, den Hahner von der Maschine drei, als erschten Gehilfen an der eins eingesetzt. Schaue Se doch mal nach, ob wir das ideologisch verantworten könne.« Dieser schwäbisch-humorigen |215| Hinterdeutigkeit hatte Nickel nichts entgegenzusetzen. Nickel wußte aus der Kaderakte, daß der Produktionsleiter Mitglied der NSDAP gewesen war, Gefolgschaftsführer. Andererseits war er eine in der Fachwelt gerühmte Kapazität, er besaß mehrere Patente, war jahrelang in den großen skandinavischen Papier- und Zellulosefabriken gewesen, und die weltbekannten österreichischen Papiermaschinenkonstrukteure korrespondierten mit ihm. Er kannte den Betrieb und die Produktion wie kein zweiter. Der Kreissekretär meinte, auf ›diesen Jungandres‹ müsse man ein scharfes Auge haben – aber bitte keine Haupt- und Staatsaktion! –, und zweitens müsse man ihn natürlich unterstützen …
Nickel stieg die Treppe des Direktionsgebäudes empor; hier atmete noch alles den Geist und die unnahbare Allmacht der Deutschen Papier AG, über diese Marmorstufen war Kommerzienrat Nüßler täglich um zehn Uhr in seine Direktionsräume geschritten und um zwölf Uhr wieder herab, der Duft seiner Importe schien noch immer in der Luft zu hängen. Nickel hatte in diesem Hause ständig das Gefühl, der alte Kapitalist müsse jeden Augenblick in einer der großen ledergepolsterten Doppeltüren erscheinen, mit Kneifer, Hindenburgbart und Schmerbauch; und wenn sich tatsächlich eine Tür öffnete, konnte er nur mit Mühe den Drang unterdrücken, leise zur Seite zu treten. Eben noch, als er über den Hof ging, hatte er sich ausgemalt, wie das bevorstehende Gespräch mit dem Produktionsleiter wohl verlaufen würde; er war entschlossen, eine Entscheidungsschlacht zu schlagen, einen Präzedenzfall zu schaffen. Durch das Portal war er gegangen mit dem Gesicht eines Menschen, der
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