Rummelplatz
hatte auf einmal das Gefühl, der Produktionsleiter schaue spöttisch und hinterhältig auf ihn herab. Das Gespräch, das in Wirklichkeit wenig mehr als eine Viertelstunde dauerte, zog sich ihm endlos in die Länge. Wozu dieser Wust von Einzelheiten? fragte er sich. Vielleicht nur, um am Ende doch abzulehnen? Wahrhaftig, sie legen mich herein, und ich kann nicht einmal etwas dazu sagen. Jungandres wird einfach erklären: Tja, mein Lieber, theoretisch hat die Geschichte einiges für sich, ich gebe mir ja die größte Mühe, wie Sie sehen; aber Sie sehen selbst – in der Praxis ist eben nichts zu machen. Dagegen war nicht anzukommen, nicht einmal mit dem sowjetischen Zeitungsblatt. Der Produktionsleiter würde sagen: Aber mein Lieber, das haben wir ja gerade besprochen; die haben eben moderne Maschinen da bei den Russen. Ja wenn wir andere Maschinen hätten, dann, ja dann …
In diesem Augenblick stand Jungandres auf und sagte: »Also schön, dann soll sie am Montag anfange. Die Sonntagsreparatur kann sie ja noch in der alte Schicht mache, da ziehe se zwei Naßfilze ein.«
Nickel tauchte aus dem Tunnel seiner Ängste empor, verwirrt noch stand er ebenfalls rasch auf und sagte hastig: »Ich mache dann den Vertrag fertig.« Jungandres nickte. Allerdings war nicht sicher, ob das als Bestätigung für Nickels Bemerkung gemeint war oder als Zeichen dafür, daß das Gespräch nun beendet sei. Nickel jedenfalls atmete hörbar auf.
|221| Er hatte sich also doch nicht geirrt. Sieg! dachte er. Sieg auf der ganzen Linie. Es war Jungandres lediglich darum zu tun gewesen, seine Autorität zu wahren, sein Prestige nicht in Gefahr zu bringen. Ja, diesmal hat er sich nicht getraut, mir eine Nase zu drehen, dachte Nickel. Ich hätte es auch auf Biegen oder Brechen ankommen lassen, das hat er begriffen. Wirklich, ein Sieg. Ihm war zumute, als habe er einen schweren Kampf hinter sich; ein wenig außer Atem noch, war er voller freundlicher Gedanken für den besiegten Gegner. Man muß ihn nur zu nehmen wissen, dachte er, dann kann man durchaus mit ihm auskommen. Wir werden schon noch vernünftig zusammenarbeiten. Daß der Produktionsleiter wiederum über alles allein entschieden hatte, sowohl über die Maschine, an der Ruth Fischer ausgebildet werden sollte, als auch über ihre Ausbilder und den Zeitpunkt der Umsetzung, das kam ihm dabei gar nicht zu Bewußtsein. Und es hätte ihm in diesem Augenblick wohl auch nicht viel ausgemacht.
Ruth Fischer stand währenddessen an der Naßpartie der Maschine III und regulierte Sieb und Filze. Von Zeit zu Zeit wog sie die Labor-Bogen, die der erste Gehilfe vorn aus der laufenden Rolle riß und an den Maschinenführertisch brachte. Der Maschinenführer war in den Holländersaal gegangen und kontrollierte den Farbzusatz.
Kam man die Treppe vom Holländersaal herab, so wirkte die Halle menschenleer; rechts und links streckten sich, scheinbar sich selbst überlassen, breit dahinfließende Ströme, deren Spiegel ein geheimnisvoller Wind kräuselte; sie flossen dahin unter den bizarren Ufern stählerner Traversen, von Rohrleitungen und Walzen wie von Brücken überspannt, verloren sich schließlich sehr weit talwärts zwischen hochaufragenden Industriegebirgen. Betrat man die Halle von der gegenüberliegenden Stirnseite her, dann sah man als erstes ein drei Meter breites Papierband, das zwischen zwei blanken |222| Kalanderwalzen hervorschoß, drei, vier Meter scheinbar schwerelos und frei durch die Luft schwebte und sich dann wie aus eigenem Antrieb zu einer dicken weißen Rolle aufspulte. Man konnte dieses Band rückwärts verfolgen bis zu jener kaum zentimeterbreiten Zone, wo die Papierbahn in verblüffender Plötzlichkeit mitten aus dem breit dahinfließenden wäßrigen Faserstoffstrom herauszüngelte; auf und ab über eine endlose Phalanx von Walzen und Zylindern, durch Pressen hindurch, immer wieder aufgenommen in ein raffiniert gestaffeltes System von Trockenfilzen, Feuchtfilzen, Naßfilzen.
Menschen entdeckte man erst später. Sie verloren sich in der riesigen Halle, und sie wirkten fast beschäftigungslos. Hier hantierte jemand an einer fertigen Papierrolle, dort bewegte einer beinahe spielerisch ein Handrad, ein dritter rauchte auf der Schwelle der Umkleidekabine gemächlich eine Zigarette. Sah man allerdings genauer hin, dann bemerkte man in den Gesichtern, ja, sogar in der Körperhaltung eine ruhige, gleichsam ins Unterbewußtsein übergegangene Aufmerksamkeit und Bereitschaft. Aber so
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