Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
müssen, damit Platz wird für Besseres. Hast du das nicht selber gesagt?«
    »Ja«, sagte Martin leise. »Aber ich habe es anders gemeint. Lieber mit dem Alten, soweit es geht, und mit dem Neuen nur, soweit es muß.«
    Das war sein Credo. Es hatte ihn drei Jahre gekostet – nun hatte er nichts mehr hinzuzusetzen.
    Sie fuhren dann in den anderen Teil der Stadt hinüber, Vitzthum das erstemal, die U-Bahn tauchte hier hinab und kam da herauf ohne Übergang, es war Nachmittag, sie stiegen um zur S-Bahn. Das Grau der Stadt war auf dieser Seite feindseliger, die Sonne härter, Farben fehlten. Die Station hieß Marx-Engels-Platz.
    Da war das Schloß gewesen, da die Museen. Der Krieg war noch nahe. Er war näher als in jeder anderen Stadt, die Vitzthum kannte, und manchmal schien ihm, er müsse das Echo der Schüsse hören von den Einschlägen überall in Ruinen und Mauern. Die Trümmer lagen weithin, gebaut war wenig, das wenige wirkte wie ein Provisorium. Sie gingen Unter den Linden hinab Richtung Friedrichstraße.
    Lewin sagte: »In der Fachsprache heißt das Übergangsperiode. Damit ist gemeint: Parolen statt Realitäten, Reden vom Schwung statt Schwung, die Fachleute werden ersetzt durch Funktionäre. Und die vielen Fahnen sind, damit die Leute sich ans Aufbauschen gewöhnen. Was habe ich verloren hier, in diesen beiden Städten Berlin, diesen zwei Ländern Deutschland, denen es wieder besser geht, die ihr Parteiengezänk wiederhaben und Ansprüche anmelden, in denen es aufwärtsgeht, aber nicht vorwärts? Wir sind geschiedene Leute.«
    |473| »Gewiß«, sagte Vitzthum, »und Ohren gibt es, denen klingt das rebellisch. Fortgehn will ich, aber wer weiß, was das ist, fortgehn, fortgehn wovon? Und es geht aufwärts im einen, aber nicht vorwärts, vorwärts im anderen, aber nicht aufwärts, da wäre wenigstens
ein
Unterschied zu konstatieren, aber darauf will es wohl nicht hinaus. Höchstens, es könnt einer fortgehen zu sich, ganz allein zu sich allein, der müßte dann austreten aus allem, was geschaffen ist von den Menschen und sonstwem: Religion, Geschichte, Philosophie, Humanität, Geist und Sein, nackt und mit seinen Zähnen allein müßt er sich in einen unerforschten Landstrich begeben, aber selbst dahin nimmt er noch alles mit, was er weiß und kann, und das weiß und kann er schließlich nicht aus sich allein, und überhaupt: was heißt unerforschter Landstrich? – Da kann er auch hierbleiben. – Gut, geh also, was hast du verloren hier.«
    Sagte er, aber es war alles draußen. Es kann einer nicht immer zwischen zwei Wänden gehn, unüberschaubar, endlosen Mauern, und sagen: Sie bedrücken mich nicht, sie müssen ein Ende haben, ich such’s; es ist nicht nach der Ausdauer gefragt, die währt seit dem ersten Werkzeug. Auch die Perspektive nicht, Maler erfanden sie, eine optische Täuschung, was bleibt, sind Fragen nach dem Schuhwerk, oder der Richtung, vorwärts oder rückwärts, auch das keine Auskünfte, denn am Anfang war die Wahl zwischen dahin und dorthin, und rückwärts ist dann nur, was vor der Wahl auch hätte vorwärts heißen können, und natürlich kann man auch einfach stehenbleiben, aber das scheint dem Menschen am wenigsten zu liegen, also: gehen. Also gehen, das tun alle, und einige sehen: parallel verlaufen die Mauern selten, mal lassen sie mehr Raum, mal weniger, weichen auch zurück aufs gerade noch Wahrnehmbare, da sagen die meisten: Seht, die Zeit der Mauern ist endgültig vorbei; und stürzen dann wieder heran, und die meisten wissen nun nicht, was sie sagen sollen, sagen aber etwas, Mitteilung ist ihr Ziel und Antrieb, und die Mauern |474| sind nun sehr eng beieinander, und die meisten sagen: früher, als die Mauern anders waren, und würden gern zurückkehren, wenn sie es könnten, aber sie können’s nicht, und wenn’s einer könnte, er würde wohl finden, daß auch im Vergangenen nichts mehr so ist, wie es war, nichts Bekanntes mehr, man findet nichts wieder. Der aber hätte eine Chance zu sehen, das wenigstens ist zu hoffen: Die Wände gehen nicht einwärts und auswärts, wie sie wollen, sondern sie sind einfach da, und ihren Abstand legt nur fest die Vorstellung derer, die jeweils dazwischen sind, das ist – jeder will etwas und heraus kommt, was keiner gewollt hat.
    Dachte er, und ging durch diese Stadt, und hatte einen neben sich, der wieder einmal aufbrechen wollte zum Amoklauf, dahin, wo es keine Wand mehr gibt, rundum Freiheit und ohne Ufer. Heilung aber davon ist ganz und

Weitere Kostenlose Bücher