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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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gar unmöglich durch Zuspruch.
    Dachte er. Und dachte: So gehn wir dahin, das ist vielleicht alles. Das stirbt und erneuert sich unablässig, rittlings auf den Gräbern zeugen sie, und beides geschieht abseits und beides privat, jeder weiß es gelegentlich und denkt nicht daran für gewöhnlich, er könnte denn nicht leben, wie er lebt. Und nur wenn ein Krieg kommt, dann wird der Tod öffentlich. Wird sichtbar, weil vorzeitig, weil massenhaft, wird schrecklich, wenn’s gutgeht, aber das geht selten gut, denn: man hat Erbfeind Vaterland Gott, hat Freiheit Demokratie Gerechtesache, hat zu verteidigen das einzig Wahre oder denen zu bringen, die seiner anders nicht teilhaftig werden können noch wollen, also ist so ein Tod ein Tod für etwas. Einmal dort, ist das Massengrab wieder privat und jeder wieder allein mit dem Tod, man sagt gefallen für und sagt Held, sagt Heldentat und sagt Sieg, Niederlage sagt man erst später, und falls diese vorläufig endgültig ist, sagt man Frieden oder wenigstens Waffenstillstand, das ist die Zeit der Hinrichtung der Märchen, der gesiegt habende Held braucht etwas Ruhe, der besiegte etwas Zeit zum Umdenken, das ist die Stunde |475| der Wiedergeburt, denn der Mensch ist nicht umzubringen außer durch sich selbst. Dachte er, und dachte: Ja, er ist der einzige, dem fast alles möglich ist, fast, Wachstum und Verfall, Geburt und Tod – das sind die Räume seiner Freiheit. Das ist sein Scheitel und sein Aderlaß, sein Trachten und sein Widerstand, es ist die Spur hienieden, in die er eingeht. Und was kommt dann?
    Oder: es ist an ihm, ewig die Chimäre zu jagen ohne Hoffnung, denn wo sitzt der das Herz und wo ist sie verwundbar, wo ist ihr Ursprung und was ihre Nahrung? Nichts Nennbares. Und die sagen, sie seien für friedliche Zeiten, sie haben allesamt das Schwert hinterm Rücken, sofern sie die Staatsmacht haben, oder wenigstens ein Messer, solange sie noch klein sind, und sie sagen: Wir wollen den vorzeitigen Tod abschaffen, dazu bedarf es des Tötens. Oder wenigstens der gewaltsamen Bekehrung. Oder also der Rüstung gegen die Gerüsteten. Denn wir sind die Friedlichen, und das Schwert ist nur geschmiedet zur Abschreckung, das sagen die andern auch.
    Und ging dahin unter dem sonnigen Staubhimmel dieser Stadt, als ob er allein ginge, denn was noch mitteilbar war, das konnte dies nicht aufwiegen und nichts erklären, etwa: sie haben alle ein schlechtes Gewissen, wenn sie Jude, Semit, Nichtarier sagen. Und es kommt so einer, und sie bitten ihn herein an ihren Tisch, und sie legen ihm vor, anders, als sie ihresgleichen vorlegen würden, nehmen Sie doch noch ein Stück Kuchen, genieren Sie sich nicht, und haben immer das schlechte Gewissen im Blick, und sind nun die Gönner derer, denen Unrecht geschah, und müssen sich immer anmerken lassen, daß sie es gut meinen mit uns, sie mit uns, denn dazwischen ist eine Grenze, die ist ihnen im Hirn und im Fleisch. Oder die anderen, die sagen, wissen Sie, wir sind immer dagegen gewesen, und nicht, daß wir irgend etwas rechtfertigen wollen, nur: so ganz unschuldig sind die Juden auch nicht, das muß gesagt werden der Gerechtigkeit wegen, denken Sie nur an die Zinssätze, also die waren bei den Juden |476| immer am höchsten, das müssen Sie zugeben. Sie uns zugeben, Sie uns, denn da ist ein Unterschied, obgleich sie natürlich Gegner der Rassentheorien sind, aber so ein Volk, das seit zweitausend Jahren umherirrt von Land zu Land, nicht wahr, sagen Sie selbst. Sagen wir. Nämlich: meine Vorfahren leben seit dem sechzehnten Jahrhundert in Deutschland (und die Ihren?), erst in Süddeutschland, Lewin, Tuchmacher, dann in Berlin, und sie dachten immer, sie wären Deutsche, was sagen Sie? Sagen Sie nichts. Ach, Ihre Eltern sind katholisch – meine auch. Oder welche, die sagen, das ist doch alles übertrieben, ich kann mir das gar nicht vorstellen, mein Bruder war doch auch in der SS, und so was hat der bestimmt nicht mitgemacht, so was nicht, oder welche, die sagen, naja, Hitler hat die Juden rausgetrieben, und uns haben die Polen aus Stettin rausgetrieben, und die da drüben in der Baracke wohnen, die haben die Tschechen aus dem Sudetenland rausgetrieben, da sind die Kommunisten schuld, und Hitler hat eben die Juden zu den Kommunisten gezählt, daher kommt alles. Oder welche, die sagen, es hat aber auch welche gegeben, die haben den Juden geholfen. Oder welche, die sagen, ja, es ist schrecklich. Oder welche, die stürzen nachts auf Friedhöfen

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