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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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besichtigen. Sie kauften Eis bei einem Straßenhändler, auch für einen kleinen Jungen, der am Laternenpfahl lehnte und am Daumen lutschte. Und hatten dann sehr viel zu tun in den engen Straßen der Innenstadt, mußten die alten Häuser besehen und die seltsamen Giebel um den Dom und hin zum Schloß Osterstein, das jetzt Gefängnis war. Schließlich tranken sie Kaffee in dem kleinen Espresso mit den dreibeinigen Marmortischen und den kardinalsrot überzogenen Stühlen und der ziemlich alten Täfelung, aber der Kaffee war miserabel.
    »Ich weiß nicht«, sagte Margit, »vielleicht liegt es an unserer Aufmachung. Oder was meinst du?«
    Das war auch ihm aufgefallen. Die Leute verhielten sich, als ob sie beleidigt seien durch ihre bloße Anwesenheit, als ob sie immerzu Abstand demonstrieren müßten und Rechtschaffenheit, oder vielleicht Wohlverhalten – aber wogegen? Das war wohl eine Oase gutangezogener Sonntagsbürger, die stattfand unter Ausschluß der Öffentlichkeit und der Wochentags-Wirklichkeit. Und war vielleicht eine dieser Tränken für wohlriechende Tiere, an denen man verloren ist ohne Schlips und Bügelfalte und sich zu schämen hat, das gab’s ja. Das wird’s ja wohl immer geben in diesem anständigen Land.
    |501| »Gott«, sagt er, »die denken, wir kommen gerade aus dem Knast oder von der Arbeit.«
    Es ging aber nun schon auf Abend zu, und sie sahen noch in einige Lokale hinein, blieben aber nirgends. Kneipen, freilich, die hätten gepaßt. Aber dazu hatte er heute so gar keine Stimmung. Kneipen sind kein Ort, wenn man keinen heben kann.
    Und an der Abzweigung zum Brückenberg trafen sie den Individualisten-Häuptling 41-17 auf seiner Boxer-BMW, auf dem Sozius hing Titte Klammergass.
    »Ahoi«, sagte der Individualisten-Häuptling und hob die Hand vom Lenker. Und Titte Klammergass sagte: »Nichts los, was? Wir waren schon überall drin. Alles gerammelt voll und keine Hühner.« Und dann erzählte er noch etwas von irgendeinem Erntefest mit Schwof und dergleichen, wenige Kilometer landwärts.
    Peter fuhr einfach hinterher. Sie fuhren ungefähr nach Süden, auf der Straße, die sie am Mittag genommen hatten, immer durch diese aneinandergeklebten Dörfer, die etwa Kainsdorf hießen oder Wilkau-Haßlau oder wie immer. Peter hatte Mühe, die BMW nicht zu verlieren, die hatte immerhin fünfhundert Kubik. Er verlor sie am Berg. Er kannte aber die Gegend einigermaßen und vermutete das Fest in dem Dorf mit den Richtkronen, wo sie am Morgen den leeren Linienbus überholt hatten. So fuhr er seine Straße und kümmerte sich nicht um die Dörfer am Weg, nicht um die Dorfgasthöfe und nicht um die helleren Plätze abseits. Und als sie die Kirche passiert hatten, die vielleicht eine Wehrkirche war, hörte er den Lärm von weitem.
    »Na«, sagte er, »bin ich ein As oder nicht?«
    Es gab zwei Kinderkarussells und eine Wurfbude, wo die Leute mit Stoffbällen auf übereinandergetürmte Konservenbüchsen schossen. Dann gab es eine Luftschaukel mit Drehorgelmusik und dahinter einen Gasthof mit riesigem Garten, in dem ungefähr zweihundert Leute saßen. Drin im Saal wurde bei offenen Fenstern getanzt. Und zwischen dem |502| Garten und der Luftschaukel stand noch eine Bude, da schossen die Burschen aus Luftgewehren auf Papierblumen, es war da ein ziemlicher Andrang. »Sieh mal an«, sagte Peter, »das gibt’s also auch wieder.«
    Die BMW stand am Gartenzaun.
    Sie fanden die beiden an einem der hinteren Tische, die Kellnerin brachte gerade Bier. Der Individualisten-Häuptling trank auch eins.
    »Na«, sagte Titte Klammergass, »das ist das reinste Stutenrennen. Und die werden doch wohl ihre Hühner nicht alle selber treten.«
    Die Kapelle machte gerade Pause; als sie wieder anfing, stand der Individualisten-Häuptling auf. »Wollen wir?« fragte Peter. Margit nickte. Sie gingen zum Saal hinüber und schoben sich zwischen die Tanzenden. Es tanzten auffallend viele Mädchen miteinander. Titte Klammergass kam mit einer massiven Blondine an, der Individualisten-Häuptling stand noch am Rand und sah zu.
    Margit sagte: »Ganz schöne Stenze, deine Freunde.«
    »Es sind nicht meine Freunde«, sagte Peter.
    Und tanzte auf diese Boogie-Woogie-Art, die gerade auf der Höhe ihrer Verbreitung war – so was greift ja um sich wie eine Seuche, bricht irgendwo aus und steigert sich epidemisch zum Höhepunkt, dann wütet’s und wogt durch die Lande, und bricht zusammen viel rascher, als der Laie für möglich hält. Die staatlichen

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