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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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das. Zwar interessieren sich die Astronomen auch mehr für alle möglichen anderen Sterne als für den, auf dem sie leben, aber wenigstens bestreiten sie nicht, daß sie von diesem ausgehen und zwar in jeder Hinsicht. In dem Zusammenhang. Möchte ich Ihnen eröffnen, daß die Naturwissenschaftler dieses revolutionären Jahrhunderts, vornehmlich die Physiker, aber alle anderen auch, nach stattgefundenen gesellschaftlichen Katastrophen jeweils zu erklären begannen, wie übel es sei, daß niemand sie auf die Probleme der Gesellschaft wissenschaftlich vorbereitet und auf die Verantwortung jeder Einzelwissenschaft gegenüber der Menschheit aufmerksam gemacht habe. Loyalität, so steht zu lesen, gegenüber dem Nächsten – oder der Erkenntnis, dem Staat – oder der Gesellschaft, der Wissenschaft – oder der menschlichen Existenz, das sei ein Komplex, ungenügend gelehrt an den Universitäten jener Zeit – und was geschieht mit den Erfindungen der Gelehrten, wenn sie in wessen Hände gegeben werden, die Grundfrage der Humanitas sei es und eine allzu späte Einsicht der meisten, mit wieviel Menschenleben bezahlt! Ja, denken Sie an Nobel, Einstein, Oppenheimer, das kann nichts schaden, aber denken Sie beispielsweise vor allem an die Chemiker der IG Farben, deren Erklärung nämlich steht noch immer aus, und man weiß schon, was soll es bedeuten. Daß aber Ihnen, meine sehr Verehrte und Herren, eines Tages nicht solch bitterböse Erkenntnis abgenötigt werde, das ist das Anliegen unserer prophylaktischen Exkurse. Keiner soll sich künftig an den Schädel schlagen müssen noch dürfen, um zu sagen: Das hab ich nicht gewollt, das hab ich nicht gewußt. Und wenn Sie, als Naturwissenschaftler, sich für einen Augenblick wenigstens auf den gewiß spekulativen Gedanken einlassen |563| wollen, daß es möglicherweise nirgends im Universum so hoch oder gar höher entwickelte Lebewesen gibt wie auf unserer Erde, dann wird Ihnen das Ausmaß Ihrer Verantwortung etwas näher rücken. Übrigens ist dieser Gedanke so absurd nicht. Die Radioastronomie zum Beispiel, eine der erstaunlichsten Wissenschaften unserer Zeit, erklärt, daß sie zu unseren Lebzeiten noch Verbindungen über ungeahnte Räume herstellen werde, etwa gar bis in andere Galaxien. Müßten dann aber irgendwelche Lebewesen anderer Gestirne, wenn ihre Entwicklung der unsrigen nur um zwei, drei Jahrhunderte voraus wäre, nicht längst Möglichkeiten entwickelt haben, Verbindung aufzunehmen beispielsweise mit uns? Was aber sind zwei, drei Jahrhunderte in den Maßen des Universums? Für uns, die wir heute leben, ist es die Zeitspanne etwa von der ersten Inquisition bis zur perfekten Praxis der Himmlerschen Konzentrationslager. Aber im Kosmos ist das ein Nichts. Ja, nehmen Sie die Menschheit als das zentrale Experiment, welches die Natur sich leistet, und Sie wissen, was uns auferlegt ist.
    Zörn, ja, und die Ausflüge des Philosophen auf naturwissenschaftliches Terrain, wie sie so nicht im Lehrbuch standen, sie kamen bei ihm immer. Wie auch immer dieser Satz kam: meine sehr Verehrte und Herren; ein biederes Späßchen, aber bitte. Zörn waren solche Witzchen erlaubt.
    Allerdings bezog sich jener Satz auf diese Teresa.
    Einziges Mädchen in der I/c und Tochter eines maßgeblichen Vaters, führenden Genossen, der saß irgendwo in Berlin. Leute gab es, die vollführten stille Verbeugungen vor dieser Teresa. Obschon der maßgebliche Vater offenbar nichts tat, was nach Protektion aussah. Aber je weniger einer sah, um so mehr vermutete er. Beispielsweise der Dozent Fromm. Das war einer, der verfocht eine Pädagogik, die hieß: ehrlich währt, solange kein Schuldloser ist. Fromm also stellte etwa eine Aufgabe, verließ dann das Zimmer, kehrte gen Schluß der Stunde zurück und wollte wissen, wer von wem abgeschrieben habe. |564| Ich gab euch Vertrauen, sprach er, und Freiheit: nun erweist euch ihrer würdig. Sagt die Wahrheit, gesteht. Wer aber nicht gestand, erhielt ein »genügend«. Nach und nach, aus Angst, unaufrichtig zu erscheinen, gestand ein jeder. Wahrheit erschien als Rechtfertigung. Falsche Geständnisse waren einträglicher. Fromm freute sich und honorierte mit ›gut‹ bis ›sehr gut‹ – wie er sagte: für Ehrlichkeit. Bis auf Teresa, der glaubte er. Und es hatte diese Methode noch immer funktioniert, in der I/c funktionierte sie nicht. Eben dieser Teresa wegen. Die hörte sich den Text dreimal an, dann erklärte sie in Fromms Gegenwart vor versammelter

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