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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Mannschaft, daß sie für die Zukunft des ehrenwerten Verfahrens Fromm keinen Pfifferling gebe. Das aber schien der für einen Wink von oben zu halten, ein Veto des maßgeblichen Vaters, zumal plötzlich die ganze I/c in seltener Einmütigkeit rebellierte. Nie wieder wurden fortan Geständnisse abverlangt, Fromm sah alt aus. Hingegen vergrößerte sich die Zahl derer, die nun erst recht vermuteten, daß der maßgebliche Vater die Hand im Spiel habe. Und überhaupt: leistete sich diese Teresa Geschichten, solche Bemerkungen beispielsweise: Ein alleinstehender großer Mann ist ein öffentliches Unglück, chinesisches Sprichwort mit geringfügiger Ergänzung; oder: Könige, Minister und solche Leute kann man sich nicht vorstellen als Könige, Minister und solche Leute, man muß sie sich mal im Bett vorstellen, oder beim Zahnarzt, um nicht zu sagen beim Kacken. Was blieb den Fromms, als allerhöchste Zusammenhänge zu vermuten, schließlich konnte die Tochter eines maßgeblichen Vaters derlei unmöglich zum Spaß von sich geben. Ja, und drittens hieß es, diese Teresa habe etwas mit besagtem Kieselack, was den Mann ungeheuer aufwertete, obschon niemand Genaues wußte. Außer Christian. Der schon. Denn das gemeinsame Internatszimmer, leicht zugänglich, weil zu ebener Erde gelegen, überließ er ihnen bisweilen, etwa wenn er ins Kino ging oder übers Wochenende nach Hause fuhr – aber wen ging das etwas an?
    |565| Keinen.
    Und sonst?
    Gesichter, Gespräche, Bücher. Viele Begegnungen und viele Menschen, und doch: wer eigentlich außer Kieselack, Kerlewein, Zörn, Teresa? Aber Nächte gab es, da war man spät nach Hause gekommen und Teresa eben gegangen, drüben Thomas’ gleichmäßiger Atem und kein Geräusch sonst, man wußte plötzlich, daß etwas fehlte und daß man noch immer allein war, noch immer. Die Arbeit, ja, das Studium, endliche Erfüllung hart behaupteter Ansprüche – aber eins blieb unausgefüllt, wenig bewußt in der Anspannung des Tages, aber abends, wenn man diesen Thomas sah und diese Teresa, abends war es da. Und man gehörte schon zu den Älteren hier, sehr viel Jüngere ringsum, Mädchen auch, aber nirgends die richtige; mit einem knappen Dutzend anderen spielte man eine Art Ausnahmerolle, die schloß besondere Erwartungen ein und besondere Verpflichtungen, änderte aber nichts an diesen Abenden, im Gegenteil: sie machte sie höchstens bewußter. Zum Glück gab es anderes und wenig Zeit. Da war die seltsame Metamorphose merkwürdiger Gesteine, die keiner von ihnen noch je gesehen hatte, die aber genau beschrieben stand und nachvollziehbar war auf dem minderen Papier der Lehrbroschüren. Oder aber die langen, mehr geschwiegenen Gespräche mit Thomas über geologische und geophysikalische Probleme, über die Beschaffenheit des Erdinnern oder die rätselhafte Grenze zwischen Organischem und Anorganischem, oder etwa über die Richtung dieser Gegenwart, begeisternd genug insgesamt und dennoch so undurchschaubar und widersinnig oft im Einzelnen, Alltäglichen – die Grenzen rückten weiter an jedem Tag. Und es schrumpften die endlichen Entfernungen vor der um sich greifenden Unendlichkeit, Fragen brachen auf aus allen Antworten, unvermutete Verbindungen stellten sich her – das war eine gute Welt, darin ließ sich leben.
    Und was dahinter zurücklag, war schon Vergangenheit. |566| Das war am 10. Juni, mittwochs. Und da war niemand hinter der Theke, gläserspülend, kein silbernes Talmikettchen am Handgelenk und keine Hände, die durchsichtig und rot waren von der Kälte des Spülwassers. Niemand würfelte um Wodka und kein Kellner hastete – dort, wo Peter gestanden hatte, stand eine Registrierkasse. Nur der Busfahrplan hing am alten Platz. Die Stunde war um. Da kam auch die schläfrige Kellnerin.

    Aber am Nachmittag traf er Spieß, der war überhaupt der erste, den er traf, und er erfuhr von ihm die ganze Geschichte von Peters Verhaftung, die war nicht annehmbarer geworden mit der Zeit. Von Spieß bekam er auch die Adresse dieser Margit. Er ging hin am frühen Abend. Aber es war niemand da. So fuhr er ins Lager und quartierte sich ein, und dann trank er noch ein Bier mit Heidewitzka und ein paar anderen, die er nicht kannte, er kannte überhaupt nur noch wenige hier.
    Am Morgen des Elften fuhr er zum Schacht und ließ sich zur Frühschicht einteilen für Freitag, das war Fischers Schicht. Er regelte auch alles mit dem Lampenmann und der Kartenstelle und dem Schichtschreiber und ließ sich seine

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