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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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allem Getier je sieben und sieben auf seine Arche verfrachten, und von dem unreinen Vieh je ein Männlein und ein Weiblein. Denn er gedachte in seiner Gnade des großen Appetits, den Noah und sein Weib und ihre Söhne und deren Weiber entwickeln würden, und das erbarmte ihn sehr.« Er nahm einen Schluck aus der Flasche und reichte sie seinem Nachbarn. »Das Wort hat jetzt der Kandidat Knieriem!«
    »Prost!« sagte Knieriem.
    »Sehet«, verkündete der Professor. »Dieses Volk huldigt dem Alkohol geziemlicher denn der wohlgesetzten Rede. Kein Wunder, daß der Herr sein Angesicht von ihnen wendet. Zumal an einem Tage, da uns die glanzvolle Perspektive eines ungeahnten Wohlstandes verheißen wurde.«
    »In Ewigkeit Amen!« sagte Ehrlichkeit.
    »Wie dem auch sei«, erklärte der Professor. »Jedenfalls plädiere ich dafür, unseren jungen Freund an unserem Disput teilhaben zu lassen.« Er sah wichtig zu Nickel herüber. »Obwohl seine Ehrwürden sich das Bonbon der frommen Denkart ans Kamisol geheftet haben. Ich bitte um das Handzeichen.« Niemand hob die Hand. Der Professor warf einen kurzen Blick in die Runde und konstatierte: »Einstimmig angenommen.«
    Sie reichten Nickel die Flasche. Er getraute sich nicht abzulehnen und nahm einen winzigen Schluck. Der Professor redete ihm zu, nicht in falscher Bescheidenheit zu schmachten, sie hätten noch mehr von dem Stoff. Nickel nahm noch einen Schluck. Dann gab er die Flasche weiter.
    Die drei mit den Bergarbeitermützen, die Nickel am nächsten saßen, beteiligten sich nach wie vor kaum am Gespräch. Einer von ihnen, dem die Mütze ständig über die Ohren des |712| kleinen schwachsinnigen Kopfes rutschte, lächelte einfältig jedem Satz des Professors zu. Der kleine Kopf trank am meisten; sein spitzer Adamsapfel hüpfte bei jedem gierigen Schluck auf und nieder. Die anderen beiden tranken nicht mit. Nickel bemerkte das erst jetzt, als sie die Flasche, die er ihnen gegeben hatte, sofort dem kleinen Kopf weitergaben. Der eine war sehnig und sehr mager, dem anderen sah man trotz der entspannten, hockenden Haltung die Kraft an, die in dem eckigen Körper steckte.
    »Saufen sich voll bis zum Eichstrich«, sagte der Magere. »Und morgen kriegen sie wieder den Arsch nicht aus der Koje.«
    Der Schwachsinnige kicherte vor sich hin. Der Abstand zwischen den Schienenstößen wurde größer. Langsam mahlte der Zug über die Strecke, die Bremsen zogen an, saugten sich fest, ein weicher Ruck ging durch die Sitzenden, die Waggons klirrten aufeinander, der D 24 hielt. Draußen huschten im trüben Licht einiger schaukelnder Laternen uniformierte Gestalten vorüber. Ein heiserer Blechlautsprecher schnarrte: »Kontrollbahnhof Großbeeren. Das Aus- und Einsteigen ist auf diesem Bahnhof verboten.«

    Szenenskizze aus dem Nachlaß, undatiert

|713| Anmerkungen
    S. 9
Die Nacht des zwölften zum dreizehnten Oktober
– Nach Gründung der DDR am 7. 10. 1949 nahm die Provisorische Volkskammer am 12. 10. die provisorische Verfassung an und bestätigte die erste Regierung unter Ministerpräsident Otto Grotewohl.
    die Buchenwälder des Ettersberges
– Auf dem Ettersberg bei Weimar befand sich das Konzentrationslager Buchenwald.
    SIS
– Name eines sowjetischen Autoherstellers (Sawod imeni Stalina – Stalinwerk).
    S. 10
Wie wir heute arbeiten, … werden wir morgen leben
– Losung zur Zeit des ersten Fünfjahrplans; der Weberin Frida Hockauf zugeschrieben, die im September 1953 mit ihrer Verpflichtung, 45m Stoff über Plan zu weben, zum Wettbewerb aufrief.
    Mundlöcher
– Enden eines Stollens an der Tagesoberfläche.
    S. 11
Wismut-AG –
Siehe Nachwort S. 643 ff.
    S. 13
T 34
– Sowjetischer Panzertyp im 2. Weltkrieg.
Fahrten runter
– Fahrt/Fahrte: Leiter im Schacht.
Hunte sacken
– Hunt: offener kastenförmiger Förderwagen im Bergbau. – sacken: beladen.
    Sohle
– untere Begrenzungsfläche einer Strecke (horizontaler Grubenbau).
    S. 14
Hier stehst du, … amen –
Anspielung auf die Schlußworte Martin Luthers »Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen!« in seiner Verteidigungsrede 1521 vor dem Reichstag zu Worms.
    Proletarier aller Länder – »
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« Schlußsatz des »Manifests der Kommunistischen Partei« (1848) von Karl Marx/Friedrich Engels; auch Kopfzeile des »Neuen Deutschland«.
    S. 15
Hans Fritzsche
– (1900 –1953), Journalist; Ministerialdirektor im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, eigene

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