Run! - Es geht um dein Leben: Thriller (German Edition)
Feuer‹.«
»Klingt wie ein Wohltätigkeitsverein«, sage ich sarkastisch.
Samir ignoriert den scharfen Unterton in meiner Stimme. »Sie ist seit ein paar Jahren nicht mehr aktiv gewesen. Hussein erweckt ›Blut aus Feuer‹ und ihr Gedankengut wieder zum Leben. Es ist kein Wohltätigkeitsverein, aber die Gruppe … tut viel Gutes.« Samir starrt mich durch seine Brille hindurch an, als wäre meine Reaktion auf meinen Kopf gedruckt, wie ein Nachrichtenticker.
Sie tun viel Gutes. Das habe ich schon oft gehört. Es ist eine Rechtfertigung für die Bomben, die Morde, den Terror. Angst kriecht durch meine Eingeweide. An jenem sonnigen Nachmittag sah ich keinen Sinn in Gewalt. Absolut keinen. Was hat man je damit erreicht? Das Messer in der Hand verschafft einem keine Sicherheit, wenn der andere ein größeres Messer hat. Man kann vielleicht einen Stich anbringen, doch dann ist man am Ende … es sei denn, der Stich trifft das Herz.
Aber als wir unserem Schicksal entgegenfahren, bin ich noch ein anderer Junge, und ich sage: »Ist ihm die Hisbollah nicht mehr gut genug?« Als würde ich einen Witz machen.
Samir und Gebran lachen nicht.
»Ist euer Freund ein Terrorist?« Ich versuche, die beiden Wörter zusammen zu benutzen, Terrorist und Freund in einem Satz, und als ich es tue, spüre ich, wie es mir die Kehle zuschnürt.
»Terrorist ist das falsche Wort«, sagt Gebran mit der geduldigen Stimme, mit der er Zehnjährigen Gitarrenakkorde beibringt. Aber er schlägt keinen anderen Begriff vor.
»Du hast doch gesagt, dass du dir Frieden im Libanon wünschst«, sagt Samir, während er mich beobachtet. »Das wollen wir auch. Wir wollen Frieden für die arabische Welt.«
Ich spüre kalten Schweiß auf meinen Rippen. Ich dachte, wir würden einen Freund besuchen, um mit ihm zu essen, sonst nichts. Doch jetzt ist es plötzlich viel mehr. Eine völlig neue Welt für mich, mit der ich nichts zu tun haben will.
Ich will sagen: Mama und Papa werden euch umbringen, weil ihr bei so etwas mitmacht, was auch stimmt, aber ich sage es nicht. Vielleicht muss ich diesen Freund meiner Brüder ja erst kennenlernen. Vielleicht muss ich erst herausfinden, wie er sie dazu gebracht hat, sich seiner Sache anzuschließen, damit ich seine Argumente mit Logik und einer Portion brüderlicher Überzeugungskraft widerlegen und den beiden klarmachen kann, dass das Ganze keine gute Idee ist.
Es ist schon seltsam, wie ein flüchtiger Gedanke, ein ungesagtes Wort, eine spontane Laune die Welt für einen verändern können. Wenn ich Gebran gesagt hätte, dass er anhalten soll. Wenn ich ihnen gesagt hätte, dass sie umkehren sollen, dass ich nach Hause wolle. Wenn ich ein bisschen mehr Mut gehabt hätte, mich sofort gegen sie zu behaupten.
Hussein lebt in einer kleinen Wohnung ein paar Straßen von der Rue Hamra mit ihren belebten Geschäften und Touristenhorden entfernt. Die Wohnung stinkt nach Zwiebeln und Zigarettenrauch, ist aber gut eingerichtet. Auf den Regalen stehen viele Bücher, auf Arabisch, Französisch und Englisch. Hussein sieht aus wie ein Mann, der seinen stechenden Blick vor dem Spiegel übt. Er ist dünn wie ein Strich, dunkelhaarig, mit weichen, vollen Lippen. Doch in seinen Augen lodert eine Flamme, ein Feuer, das einem die Knochen unter der Haut zucken lässt. Ich frage mich, ob er high ist oder verrückt.
In der Wohnung sind nur acht oder neun Leute; der Einzige, mit dem ich mich länger als fünf Minuten unterhalte, ist ein junger Mann mit einer Narbe, die seinen Mundwinkel verunstaltet; seine Lippen sehen ganz verzerrt aus. Er sagt mir, er heiße Khaled, so wie ich. Er scheint nervös zu sein, so wie ich. Es gibt Essen und Getränke, und ich werde allen als der kleine Bruder vorgestellt. Oder bin ich der nächste Rekrut? Ich nicke und lächle, ich schüttle Hände zur Begrüßung und versuche, das Zittern meiner Hände zu verbergen.
Sie reden, aber sie fangen nicht an, sich über Pläne oder Bomben oder Vergeltungsaktionen zu unterhalten. Sie reden über Politik – Hass auf die Israelis, Verachtung für Syrien, Wut und Groll auf den Westen. Sie hören sich an wie alte Männer, nicht wie junge Heißsporne. Aus dem Rauch der Zigaretten wird eine dichte Wolke, weil Hussein darauf besteht, dass die Fenster geschlossen bleiben. Nach zwanzig Minuten fällt mir auf, dass die anderen mich immer wieder verstohlen ansehen.
Das ist ein Test.
Von mir aus. Ich will ihn nicht bestehen. Ich rauche meine letzte Zigarette, nippe an
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