Run! - Es geht um dein Leben: Thriller (German Edition)
Hause.
Mama und Papa stehen in der Tür und sehen zu, wie ich taumelnd auf sie zukomme. Im Fernsehen wird auf allen Kanälen über die Explosion berichtet. Ich suche nach den Worten, mit denen ich ihnen sagen werde, dass Samir und Gebran tot sind. Ich weiß nicht einmal mehr, was ich sage. Wahrscheinlich »Samir und Gebran sind tot«.
Papa schüttelt den Kopf und hört gar nicht mehr damit auf. Mama schreit. Sie versinken in ihrer Trauer und ihrem Schmerz; sie klammern sich an mich, der plötzlich ihr einziges Kind ist.
Als sie sprechen können – als ich sprechen kann -, stellen sie Fragen. Nein, ich weiß nicht, warum die Bombe in der Wohnung explodiert ist. Nein, Hussein kannte ich nicht, er war der Freund meiner Brüder. Nein, ich bin nur hinausgegangen, um Zigaretten zu holen, ich war nur ein paar Minuten weg. Papa fängt vor lauter Schock zu keuchen an.
»Wer hat das getan?«, frage ich, während ich vor dem Fernseher knie und die Nachrichten verfolge. »Wer hat die Verantwortung dafür übernommen?« Denn egal, welche Abteilung der Polizei oder Anti-Terror-Truppe die Mitglieder von »Blut aus Feuer« getötet hat, sie würde ihren Sieg mit Sicherheit hinausposaunen.
Papa schüttelt unter Tränen den Kopf. Bis jetzt hat sich noch niemand gemeldet.
Das bedeutet, dass es die Israelis waren oder die CIA oder eine rivalisierende Zelle. Ich muss daran denken, dass sich die Hamas und die Fatah in den Palästinenserlagern gegenseitig umbringen.
»Wer ist dieser furchtbare Freund, dieser Hussein?«, will meine Mama wissen. Dann fängt sie wieder zu schreien an, denn Papas Hand krampft sich in sein Hemd, in den Augen Enttäuschung, aber auch Erleichterung. Er sinkt in seinem Fernsehsessel zusammen.
Wir rufen einen Rettungswagen. Ich bin ganz ruhig am Telefon. Ich bin blutverschmiert und angesengt, Papa sitzt tot in seinem Fernsehsessel, Mama klammert sich an meinen Arm. Wir bleiben stehen und starren Papa in seinem Fernsehsessel an, während Mama laut schluchzt.
Unsere Welt ist verschwunden. Alles weg, innerhalb einer Stunde. Zum ersten Mal in meinem Leben möchte ich jemanden umbringen, und ich weiß nicht, wie. Ich weiß nicht, wen ich suchen soll, wen ich hassen soll.
In den nächsten Tagen und Wochen spricht die Polizei mit mir. Ich werde stundenlang verhört. Ich verrate ihnen nichts. Kein einziges Mal spreche ich die Worte »Blut aus Feuer« aus. In den Zeitungen steht, dass die ermordeten Männer Mitglieder einer Friedensorganisation waren und vom Mossad oder der CI A getötet wurden. Verhaftet wird niemand.
Niemand weiß, wer der Junge mit dem vernarbten Mund ist. Die Gerüchte überschlagen sich: Der Junge war ein amerikanischer Agent, ein von den Israelis bestochener Verräter, der die Bombe gelegt hat und entkommen ist. Dafür gibt es keine Beweise. Doch jetzt kenne ich die Wahrheit.
Mama sitzt an ihrem Fenster und weint und klagt. Es treibt mich langsam in den Wahnsinn. Ihre Trauer trifft mich immer tiefer, wie ein Schwert, das wieder und wieder über meinen Rücken gezogen wird und meinen Schmerz, meinen Hass, meine Wut zum Vorschein bringt.
In dieser Nacht leiste ich einen einfachen Schwur. Die, die meine Familie zerstört haben, sollen dafür bezahlen, mit Blut, das tausendfach mehr fließt. Mein Versprechen klingt altmodisch. Aber es fühlt sich modern an. Zeitlos. Hass scheint kein Verfallsdatum zu haben.
Hass ist der Grund dafür, dass ich nach Amerika komme und darauf brenne, meine Aufgabe auszuführen.
4
Teach legte dem Großen eine Hand auf die Schulter und fuhr mit der anderen durch sein kurz geschorenes Haar. »Du bist einer Kugel ausgewichen.« Die Erleichterung darüber war ihr anzumerken. »Pilgrim.« Teach lehnte sich an ihn. Es war nicht sein richtiger Name, doch es war der Name, den sie in den langen, dunklen zehn Jahren ihrer Zusammenarbeit benutzt hatte, und daher war er so echt wie alles andere in seinem zusammengepuzzelten Leben.
Pilgrim nickte. »Ich muss mich in dem Moment bewegt haben, in dem er abgedrückt hat, und das hat mich gerettet. Ich habe gespürt, wie die Kugel an meinem Kopf vorbeiging. Dann habe ich mich auf den Boden fallen lassen, und der Scharfschütze dachte, er hätte mich erwischt.« Pilgrim ging an Teach vorbei in das Wohnzimmer des gemieteten Hauses, das in einer ruhigen Ecke des Lake Travis in der Nähe von Austin lag. Teach und ihr Assistent Barker hatten bereits begonnen, die karge Einrichtung des geheimen Unterschlupfes
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