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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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einer Hütte in den Bergen lebten ein Junge und seine Mutter. Eines Tages war ihnen die Milch ausgegangen, also schickte die Mutter den Jungen welche holen. ›Sei vorsichtig‹, sagte sie, ›und was auch geschieht, mach nicht den Mantel schmutzig, den ich dir geschenkt habe.‹
    Der Mantel bestand aus grober Wolle. Er war überhaupt nicht hübsch, aber er war praktisch und noch dazu der einzige, den der Junge besaß. Seine Mutter hatte einen Hirtenstab darauf gestickt, denn sie hatte immer davon geträumt, eines Tages zu erleben, dass ihr Sohn Schäfer wurde.
    Der Junge ging ins Dorf. Es war schönes Wetter, und der Tag wirkte verheißungsvoll. Das Gras war gelb, und die Hügel dufteten nach frischer Erde. Der Junge war voller Hoffnung, wie man es in dem Alter ist, also hüpfte er vor sich hin und fiel kopfüber in eine Matschpfütze.
    Er stand wieder auf und bemerkte, dass die Luft nicht mehr so gut roch, dass das Gras trocken und spröde und es sehr kalt war. Zitternd sagte er sich, dass er nie mehr zurückkehren könnte und dass das Haus seiner Mutter ihm von nun an verschlossen sein würde.
    Also zog er los, um nie mehr zurückzukehren.
    Die Jahre vergingen, und aus dem Jungen wurde ein
berühmter Held. Unterwegs hatte er das dreiköpfige Ungeheuer besiegt, das alle erstgeborenen Knaben der Stadt Miranna im Gebirge gefressen hatte; er hatte der spinnenartigen Königin den Kopf abgeschlagen, die ihre Kinder langsam an sich geklebt hatte, bis sie eins mit ihr waren, und hatte eine Brücke gegen tausende und abertausende von Soldaten verteidigt, die ins Land der Hundert Flüsse eindringen wollten.
    Verella, deren Blick liebevoll auf allen ruht, die ihr Wasserkönigreich lieben und beschützen, richtete ihre grünen Augen auf den jungen Helden und verliebte sich in ihn. Sie stieg aus dem Fluss, nackt wie am Tag ihrer Schöpfung, als sie aus dem Leib ihrer Mutter Lâ geflossen war, ohne dass ein Vater ihr seinen Samen geschenkt hätte. Ihre Haut war grün und blau, ihre Brüste rund wie dargebotene Früchte - Früchte, wie sie der junge Held noch nie berührt hatte. Sie gaben sich im Wasser ihren Liebesspielen hin, und später, sehr viel später, wurden Zwillinge geboren, von denen der Vater nie etwas erfuhr. Diese Zwillinge gründeten später das Land der Nebel, in dem ihre Nachkommen heute noch herrschen.
    Aber als die Liebenden sich im Fluss umschlungen hielten, war noch nicht von Kindern oder Ländern die Rede, und Verella schenkte dem Menschen zum Dank für seine Küsse die Macht hinzugehen, wo er wollte, und zu handeln, wie er wollte, ohne je Tränen der Reue vergießen zu müssen.
    ›Meine Töchter, die Flüsse, werden dich beschützen und bei jedem Schritt salben. Das Wasser, das in deinem Blut und in deinen Tränen fließt, wird dich ebenfalls schützen. Menschen träumen‹, fügte sie lächelnd hinzu; es war das Lächeln einer Göttin, für die sich schon hunderte von Freiern in die Abgründe gestürzt hatten und um deretwillen
ihr Bruder Um-Akr, wie man sich erzählt, einst all seinen Gerechtigkeitssinn verloren hatte. ›Menschen träumen‹, wiederholte sie, ›aber Kummer und Schuldgefühle halten sie auf ihrem Weg auf wie ein Klotz am Bein - und deshalb setzen sie ihre Träume nicht in die Tat um. Ohne Reue und Tränen, mein junger Liebhaber‹, fuhr sie fort und küsste ihn noch einmal, ›wirst du mehr erreichen als andere Menschen.‹<
    Und so kam es, dass der junge Held von da an ohne Reue und von den Wassern getragen der größte Pirat der Bekannten Lande wurde. Er tötete, kaperte und massakrierte auf den Ozeanen. Das Blut seiner Opfer floss in Strömen und besudelte die Gewänder der Eleïden, die am Meeresgrund tanzen. Das Blut floss, wie man sich erzählt, bis in die Stadt der Saryger, deren Steinsäulen damals noch nicht zusammengebrochen waren. Dann - als er so reich geworden war, dass seine Frachträume vor Schätzen überquollen - brach der junge Held zur Eroberung von Ländern auf, und das Blut strömte weiter und weiter, während er Land um Land, Stadt um Stadt eroberte. Die Flammen, die die Häuser verschlangen und den Nachthimmel golden färbten, spiegelten sich in seinen Augen, ohne dass er darunter gelitten oder seinen Vormarsch verlangsamt hätte, denn Verellas Geschenk schützte ihn vor Gewissensbissen.
    So wurde das Kind aus dem Dorf, das seinen Mantel beschmutzt hatte, Kaiser. Könige und Zauberer beugten sich seiner eisernen Herrschaft. Der neue Kaiser ließ nicht die

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