Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
Vom Netzwerk:
angeboten. Es ist seltsam, Leute rings um sich fallen zu sehen, zu beobachten, wie sie sich vor Schmerzen krümmen und sterben, während bei einem selbst Tag für Tag … nichts geschieht. Man wartet auf das Fieber, sucht vor dem Spiegel nach Hautrötungen, rechnet mit Qualen, die einem die Eingeweide zerfetzen werden … nichts. Und eines Tages ist es dann vorbei, und man lebt noch.« Leise wiederholte sie: »Wenn Ihr ein solches Wunder erlebt hättet, hättet Ihr dann keine Lust, es weiterzugeben?«
    »Mir ist nie ein Wunder zuteilgeworden«, begann Arekh und unterbrach sich dann, als er wie betäubt erkannte, dass das nicht stimmte - er hatte sein Wunder bekommen, deshalb lebte er heute noch, statt als grinsendes Skelett an die erste Ruderbank eines verrottenden Schiffes gefesselt zu sein.
    Plötzlich bestürzt starrte er aufs Wasser hinaus.
    Marikani hatte nichts bemerkt; sie fuhr fort: »Nun ja, mein Wunder ist in das Wasser zurückgekehrt, aus dem es hervorgekommen war … Nehmt Euch in Acht, Nde Arekh«, fügte sie mit fast schmerzlicher Ironie hinzu. »Ihr seid jetzt derjenige, auf dem all meine Hoffnungen ruhen. Ihr seid der Einzige, der diesem ganzen Debakel noch einen gewissen Sinn verleihen kann.«

    Arekh hob verblüfft den Blick zu ihr - und plötzlich erschien der Herr der Verbannten neben ihnen. Er bewegte sich immer noch mit leichten Schritten und einer unwirklichen, tänzerischen Anmut. Er trug vier Tonpfeifen und einen kleinen Topf voller Kräuter. Der Geruch, der von ihnen ausging, war der, den Arekh bereits wahrgenommen hatte: Kräftig, aber angenehm erinnerte der Duft an den Weihrauch, den die Priester an den Höfen im Zuge bestimmter Zeremonien einsetzten.
    Der Herr der Verbannten setzte sich hin und sah sie einen nach dem anderen an. Marikani richtete sich auf und verneigte sich. »Sohn des Joar, ich habe Euch noch nicht für Eure Gastfreundschaft und Euren Schutz gedankt«, sagte sie in stolzem Ton. »Euer Mut macht Euch Ehre, und ich wäre mit Freuden bereit, ihn zu belohnen, indem ich engere Beziehungen mit Eurem Volk knüpfe. Ihr seid, wie ich weiß, der Herr über alle Handelsrouten, die zwischen der Stadt und dem Süden der Fürstentümer verlaufen, und …«
    Der Herr der Verbannten unterbrach sie. »Über Geld reden wir später, Prinzessin. Ich habe Euren Vorschlag bezüglich der Schleusen nicht vergessen, und ich bin mir sicher, dass wir uns auf etwas einigen können, das zum beiderseitigen Vorteil ist. Aber deswegen seid Ihr nicht hier …«
    Marikani sah ihn überrascht an. Lionor stieg von ihrem Fass und ließ sich im Kreis nieder.
    »Wir brauchen Verbündete«, sagte der Sohn des Joar in ruhigem Tonfall. »Ich spreche nicht von Handelspartnern, mit denen sich je nach finanzieller Situation Bündnisse ergeben und lösen. Ich spreche von politischen Freunden, von … militärischer Unterstützung, wenn sich die Notwendigkeit abzeichnet.«

    »Gibt es Schwierigkeiten mit dem Bürgermeister?«, fragte Marikani. »Er wirkt nicht besonders gefährlich.«
    »Dieser Bürgermeister hier? Nein. Aber der nächste?«, sagte der Mann, und Arekh bemerkte aufs Neue das Feuer, das in seinen schwarzen Augen glomm.
    Diesem Mann wohnten Gewalttätigkeit und Leidenschaft inne und noch etwas anderes - so etwas wie ein Gewissen und die Last einer gewaltigen Verantwortung. Arekh hatte schon die Lenker vieler Gegenden und Völker gesehen und reden hören. Aber diesen Schatten hatte er leider nur in sehr wenigen Blicken wahrgenommen.
    Arekh nickte. »Ich verstehe. Ihr seid angreifbar. Nur das Gewicht der Tradition schützt Euch, aber die Bürger der Stadt werden immer eifersüchtiger. Eines Tages kann alles umschlagen.«
    Der Herr der Verbannten musterte Arekh. »Ihr seid nicht ihr Leibwächter - und Ihr stammt auch nicht aus Harabec. Wer seid Ihr? Ihr Geliebter?«
    Marikani lachte nicht und schnappte auch nicht entsetzt nach Luft - und Arekh war ihr, ohne zu wissen, warum, unendlich dankbar. Er spürte nur, dass sie sich zu seiner Linken anspannte. Lionor wandte erzürnt das Gesicht ab.
    »Die Ehre habe ich nicht«, sagte Arekh. »Ich bin ein wegen Mordes verurteilter Galeerensträfling. Recht … komplexe Umstände haben dazu geführt, dass ich Aya Marikani auf ihrem Weg begleite.«
    Der Herr der Verbannten nickte ohne größere Überraschung. Natürlich, er kannte sich mit Mördern und Galeerensträflingen auf der Flucht aus. »Was für ein Mord? Einer oder mehrere?«
    »Ich bin für den Mord an einem

Weitere Kostenlose Bücher