Rune der Knechtschaft
die er
Lionor gegenüber empfand, zugeben. Zwischen den beiden schien echte Freundschaft zu bestehen.
Arekh versuchte, sich aufs Neue auf die Diskussion zu konzentrieren, aber bald schweifte sein Geist wieder ab. Die Erzählungen, die Warnung der Götter - denn wie konnte er sonst erklären, dass ihm die Geschichte so spontan über die Lippen gekommen war? - mussten doch einen Sinn, eine Existenzberechtigung haben …
Musste er handeln? In dem Fall hatten sich die Götter ein ziemlich niederträchtiges Geschöpf als Boten auserwählt. War er nicht selbst genauso verderbt wie Lionor? Vor den Göttern würde er immer als Verurteilter gelten - aber vielleicht musste man eine schwarze Seele haben, um eine andere erkennen zu können?
Marikanis glatte Stirn war über den Vertrag gebeugt. Eine frische Brise blies durchs Fenster herein und trug den fröhlichen Lärm der Stadt mit sich. Die Einwohner lebten unberührt von den düsteren Geheimnissen ihrer Besucher. Oder hatten sie vielleicht selbst düstere Geheimnisse?
»Hundert Männer sollen mich in etwa zehn Tagen von der Südgrenze der Stadt abholen«, erklärte Marikani. »Ich habe diesbezüglich an meinen Staatssekretär geschrieben.«
»Glaubt Ihr, dass Euer Cousin ihn gewähren lassen wird?«
»Er kann sich schwerlich dagegen sperren. Es wäre zu gefährlich für ihn, sich zu weigern, Truppen zu schicken, um mich abzuholen«, erläuterte Marikani. »Sein Verrat wäre zu offensichtlich. Solange er nur Erbe ist, ist seine Position noch schwach. Und Banh ist mir treu ergeben.«
»Das Problem«, warf Arekh ein, »besteht darin, dass die Verbannten nicht sicher sind, ob sie Aya Marikani noch zehn Tage lang beschützen können. Die Spannungen sind zu groß, und ihre Position ist prekär. Wenn sie dagegen
unter dem Schutz von Reynes stünde … Glaubt Ihr, dass der Bürgermeister es wagen würde, die Fürstentümer anzugreifen?«
»Nun, das würde ich gern erleben!«, sagte Viennes. »Hervorragend, Aya Marikani - wir werden uns um die Sache kümmern. Aber damit ich Euch hier offiziell empfangen kann - denn, darüber sind wir uns doch einig, dieses Treffen hat offiziell nie stattgefunden -, benötige ich ein zweites Siegel. Die Zustimmung eines zweiten Ratsherrn ist notwenig, um eine Entscheidung von solcher Tragweite zu treffen … Macht Euch keine Sorgen«, fügte er sogleich hinzu, als er die Blicke rings um den Tisch sah, »das ist schnell getan. Ein Ritt hin und zurück zu einem Freund, der dreißig Meilen von hier wohnt … Das sind keine zwei Reisetage! Könnt Ihr zwei Tage durchhalten?«
Sie verließen das Haus, wie sie gekommen waren: durch die Hintertür, als Händler verkleidet. Lionor und Marikani trugen Kopftücher und hielten Fruchtkörbe auf dem Arm. Der Herr der Verbannten hatte sie nachts am Ufer eines abgelegenen Kanals von Bord gehen lassen, aber bei ihrer Rückkehr waren die Vorsichtsmaßnahmen geringer: Sie überquerten den großen Marktplatz, bis sie zur Wasserfläche gelangten, und winkten ein Boot heran.
Händler beobachteten sie neugierig, und sobald Lionor das Boot betrat, bildeten sich kleine Grüppchen, die Bemerkungen dazu machten.
Aber die Barke entfernte sich rasch vom Markt. Arekh blickte zu den Schaulustigen hinüber. Die Stadt war entschieden gefährlich. Noch ein Nest von Vipern im Schlamm, ganz wie alle Städte der Königreiche …
Arekh zuckte die Achseln und tat sein Bestes, seine schwarzen Gedanken zu verscheuchen. Wenn die argwöhnischen
Blicke einiger Müßiggänger schon ausreichten, ihm den Tag zu verderben, dann konnte er sich an keinen guten Tag erinnern. Aber da war auch noch Lionor, deren Anwesenheit allein ihn mittlerweile schon verärgerte.
Seit dem kleinen Gespräch, das sie mit dem Ratsherrn über das Türkisvolk geführt hatte, schien sie Arekh zu beobachten. Er ertappte sie im Laufe des Nachmittags drei Mal dabei, dass ihr Blick auf ihm ruhte, was ihn wütend machte. Sie spürte sein Misstrauen.
Der Abend trug, so schön er auch war, nicht dazu bei, Arekhs Laune zu verbessern. Marikani hatte dem Herrn der Verbannten von dem Treffen erzählt; er hatte befriedigt gewirkt. Um die Neuigkeit zu feiern, hatte er ein spontanes Festmahl auf einem großen Boot organisiert. Der Wein war in Strömen geflossen, eine Musik, die für Arekhs Geschmack zu süßlich war, war in den Himmel aufgestiegen, und jetzt saß der Herr der Verbannten zu nahe neben Marikani, die allzu anmutig lächelte. Weihrauchschwaden vernebelten
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