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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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auch eine kleine Rede vor seinen Angestellten und drohte, ohne weitere Umstände jeden aufzuhängen, der etwas über ihren »Gast« herumerzählte. Nach dem furchtsamen Blick der Frau zu urteilen, die ihnen das Essen servierte, wurde diese Drohung durchaus ernst genommen.
    Zwanzig Seiten später war der Vertrag immer noch nicht fertig, aber der Wein und ein Hühnergericht mit Aprikosen und Mandeln hatten die Herzen erfreut und für eine entspannte Atmosphäre gesorgt. Viennes schien ständig neue künftige Vorteile der Situation zu erwägen; seine Augen leuchteten.
    Sie verbrachten eine ganze Weile damit, über die Überquerung
des Nasseri und die Frage der Stromschnellen zu sprechen. Eine neue Brücke war nötig: Wenn die Straße zu weit südlich verlief, würde sie Sleys zum Vorteil gereichen, was weder Harabec noch den Fürstentümern willkommen war. Aber Sleys war ein kleines, geschäftiges und sehr religiöses Land: Die Tempel besaßen etwa zwanzigtausend Sklaven, die man leicht würde mieten können, um das fehlende Straßenstück zu bauen.
    »Wisst Ihr, dass hier der Rat abgehalten worden ist, der über das Schicksal des Türkisvolks entschieden hat?«, fragte Viennes, als sie sich über alles einig geworden waren. »Direkt hier, im Herzen der Stadt, vor … dreitausendvierhundertunddreißig Jahren, wenn ich mich recht entsinne. Wir sind am Ort eines der wichtigsten historischen Ereignisse der Königreiche«, schloss er mit einem zufriedenen Lächeln.
    Er schenkte Lionor ein Glas Wein ein; sie hatte den Blick abgewandt und betrachtete mit verdächtigem Interesse die Spiegelungen auf der Kristallkaraffe. Kurzes Schweigen trat ein, bevor Marikani in einem Tonfall, der Arekh übervorsichtig erschien, fragte: »Hier? Ich dachte, es wäre im Großen Tempel von Sleys gewesen … Stammte Ayona nicht von dort?«
    »Ayona wurde in der Tat in Sleys geboren - und dort hat ihm Um-Akr die Entdeckung der Rune eingegeben«, erklärte Viennes. »Aber das Konzil, das die Verurteilung anerkannt hat, ist hier abgehalten worden. Aus dem Grunde ist diese Stadt in ›Tränenstadt‹ umbenannt worden, Aya Marikani. Vor über drei Jahrtausenden hieß sie ›Stadt des Lachenden Wassers‹, was weitaus passender war, wie ich finde.«
    »Die Rune«, wiederholte Lionor kalt. »Praktisch, nicht wahr?«

    Der Ratsherr sah sie erstaunt an. »Praktisch, meine Dame?«
    »Praktisch, ja. Es war doch praktisch, dass der Hohepriester Ayona entdeckte, dass das Sternbild die Rune der Gefangenschaft nachzeichnet, als wir jenen Leuten weder Land schenken noch Arbeit anbieten konnten … Und siehe da - der Hohepriester entdeckt eine Rune, die er bis dahin noch nie gesehen hat. Ja, das finde ich praktisch.«
    Marikani warf Lionor einen fast furchtsamen Blick zu, in dem Arekh all seine Vermutungen bestätigt fand. Er wandte sich dem Ratsherrn zu. Würde Viennes Lionor der Häresie bezichtigen?
    Es waren schon Menschen für weniger als das hier verbrannt worden … Natürlich nur, wenn sie bei den Mächtigen schlecht angesehen waren.
    Aber nein. Der Ratsherr schüttelte amüsiert den Kopf. »Meine Liebe, da rührt Ihr an eine Kontroverse, die schon mehr als eine religiöse Debatte in Reynes angeheizt hat, das kann ich Euch versichern. War die Rune schon immer da, und Um-Akr hat seinem Jünger an jenem Abend nur die Augen dafür geöffnet? Oder ist ein neuer Stern zur selben Stunde erschienen, um die Rune zu vollenden? Das wird niemand je wissen, nehme ich an, aber wenn die Priester Vergnügen daran finden …«
    Viennes machte eine vage, abfällige Handbewegung. Arekh teilte seine Meinung über die nicht enden wollenden Diskussionen der Theologen. Die Götter webten den Stoff der Wirklichkeit in Übereinstimmung mit dem Schöpfungslied: Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit waren in den Fasern miteinander verbunden, und die Fäden menschlichen Schicksals waren nur einige armselige Stickereien. Daher war es nutzlos - und unmöglich
- zu versuchen, den Ratschluss der Götter oder ihre Gründe zu durchschauen, sich zu bemühen, ein Prinzip hinter ihren Handlungen zu entdecken. Ihre Gründe waren naturgemäß außerhalb der Reichweite des menschlichen Verstandes.
    Und die Priester und Philosophen, die behaupteten, ihre Absichten zu durchschauen, waren Narren oder Ehrgeizlinge, die religiöse Bewegungen ins Leben rufen wollten, um ihre Feinde besser vernichten zu können.
    Die Männer und Frauen des Türkisvolks waren, Stamm um Stamm, aus dem Osten gekommen,

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