Rune
Stiche. Das Blut auf mir, das Blut dreier Menschen, ließ alles noch schlimmer aussehen, als es ohnehin schon war. Ich saß mit nacktem Oberkörper auf dem Behandlungstisch, während eine stämmige Krankenschwester eine Tinktur auf die Wunde gab.
Irgendwo in der Nähe lag Ben Goddard unter dem Messer, und ich hatte bereits einige Gebete für ihn gesprochen. Ebenso eingeliefert wurde ein Journalistiklehrer namens Marv Springer; er hatte einen Pfeil ins Knie bekommen, als er auf den Gang getreten war.
Die Krankenschwester tönte die ganze Zeit, wie schrecklich das alles sei, und je mehr sie sprach, desto weniger hörte ich zu. Meine Ohren klingelten noch von jenem betäubenden Pistolenschuß, der einen fetten Jungen mit dem Spitznamen Hürdenspringer ein für allemal erledigt hatte. Der Gestank von Schießpulver hing noch in meiner Nase, und darunter der überwältigende Geruch, den ich mit Olaf in Beziehung zu bringen gelernt hatte.
Alles, was ich im Moment vom Leben verlangte, war, das Krankenhaus zu verlassen, um zu Hause Sicherheit und Stille zu finden. Wo ich mich zusammenkauern und auf Schlaf hoffen konnte, der all die widerlichen Bilder des Morgens fortnehmen würde. Wo ich auf einen traumlosen Schlaf hoffte.
Ich wandte mich der Schwester zu; entweder hatte sie nichts mehr zu sagen, oder sie war es leid, nicht beachtet zu werden. »Wo ist mein Bruder?«
»Ich glaube, er ist im Wartezimmer mit euren Eltern.«
Ich hob die Hände, die noch immer von Blut besudelt waren, so wie in der Nacht, als ich bei Tri-Lakes gegen Wendell gekämpft hatte. »Zuerst würde ich mich gern waschen.«
Sie führte mich zu einer Toilette in der Nähe, die kaum größer war als eine Telefonzelle. Ich griff mir mein Hemd und meine Jacke, vermied es aber, sie anzuziehen, da niemand so freundlich gewesen war, sie schnell mal in die Waschmaschine zu stecken. Ich schrubbte meine Hände und Arme und mein Gesicht mehrere Minuten lang und glaubte, nie wieder sauber zu werden. Und ich sah mich neugierig im Spiegel an. Die Augen, die zurückblickten – sie hatten so viel gesehen. So verdammt viel. Zu viel.
Ich trocknete mich ab und zog das Hemd an, ohne es zuzuknöpfen, wobei ich beim Anblick der getrockneten Blutspritzer zusammenzuckte. Auf dem Weg zum Wartezimmer fiel mir ein, daß ich zum ersten Mal in diesem Teil des Krankenhauses war, seit wir Rick in jener Nacht hergebracht hatten.
Rick, mein Freund, warum mußte für uns alles so beschissen laufen? Warum mußtest du mit deinem Leben für meine Abstammung bezahlen?
Dieser Gedanke durchbohrte mich, und Tränen traten in meine Augen. Ich hielt sie aber zurück. Es tut mir leid, Rick. Es tut mir wirklich leid.
Mom und Dad sprangen von ihren Stühlen auf, als sie mich sahen. Dads ansonsten so vitales Gesicht sah faltig, ausgewrungen, erschöpft und alt aus. Sowohl er als auch Mom wirkten über alle Maßen verängstigt, und das verbesserte sich auch nicht, als sie mich sahen. Aber sie flippten nicht aus, und wenn man bedenkt, wie ich aussah, war das doch schon etwas. Wir drei umarmten uns, und Aaron machte uns vier komplett. Ich brauchte und begrüßte das – ich hätte ewig so dastehen können. Dads Hand lag ruhig auf meiner Schulter, Mom streichelte zärtlich meinen Hinterkopf.
»Nach Hause«, sagte ich leise, gedämpft von Dads Schulter. »Ich will nach Hause.«
»Ja«, sagte Mom. »Oh ja.«
Wir fuhren an der High School vorbei, so daß Aaron meinen Wagen nehmen und nach Hause fahren konnte. Ich traute mir nicht zu, ihn selbst zu lenken; ich wollte einfach nur gefahren werden. Der Parkplatz der Schule war fast leer; den Umständen entsprechend hatte man den Unterricht für den restlichen Tag abgesagt.
Fröhliches Erntedankfest, Leute.
»Ich glaube, ich werde mich bei der Schule freiwillig melden«, sagte Mom, als Aaron neben meinem Wagen ausgestiegen war. »Weißt du – all die Kinder, die dabei gewesen sind und es gesehen haben. Wenn sie darüber reden oder sich ausweinen möchten. Ein paar von ihnen werden das brauchen.«
»Gute Idee«, murmelte ich.
»Angefangen mit dir.« Sie sah mich an und hielt den Blick so lange, wie sie es am Lenkrad wagte. »Wann immer dir danach ist. In Ordnung?«
Ich nickte. »In Ordnung.« Aber nicht jetzt, nicht heute, vielleicht nicht in dieser Woche. Worte sind wunderbar ausdrucksstark, doch trotzdem sind sie nicht in der Lage zu beschreiben, wie es ist, Menschen, die man kennt, in nächster Nähe sterben zu sehen. Und auch nicht die
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