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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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stundenlang weiter. Meine Hände fingen an, sich zu verkrampfen, und der Schmerz brannte durch die Muskeln und mein Handgelenk. Nur wenige Zoll entfernt schlug Hürdenspringer auf die Tür ein mit einer Kraft, die sich mit seinem Zorn scheinbar verstärkte. Die obere Hälfte der Tür neigte sich bereits nach innen, und Glassplitter regneten auf den Boden um meine Füße.
    Ich konnte nicht mehr lange aushalten. Er war zu stark, zu entschlossen, zu unaufhaltsam. Er brüllte wie ein wütender Stier, und irgendwo in der Nähe konnte ich Sirenen hören.
    Und dann war es still auf dem Gang. Ich holte bebend Luft und wagte nicht mehr zu atmen. Die Atmosphäre war elektrisch geladen, die Ruhe vor dem Sturm.
    Und ich hörte ihn kommen … kommen mit all der Kraft und der Gewandtheit, die der alte Hürdenspringer nie aufgebracht hätte … kommen wie ein menschlicher Güterzug … Seine zweihundertsechzig Pfund prallten auf die Tür wie ein Rammbock. Nie im Leben hatte ich eine derart schlagartige Zerstörung gesehen. Das Fenster ergoß sich in Glasfragmenten über den Boden, und das Holz splitterte mit dem Geräusch einer Galeere, die an einem Korallenriff zerbricht. Große und kleine Holzteile wurden nach innen geworfen. Und hinter allem, wie ein Unwetter, das Wind vor sich hertreibt, war Hürdenspringer, der hereinbrach in einem Mahlstrom aus Lärm und Zorn. Ich taumelte zurück wie von einer Schockwelle nach einer Explosion getroffen, landete rücklings auf dem Boden, während die Überreste der Tür auf mich herabregneten.
    Und nun war Hürdenspringer drinnen. Er hielt abrupt inne, und ein Teil des Drahtgitters von der Tür hing an seiner Schulter. Das Haar war zerzaust, und die Augen tanzten in schwarzer Freude, und Blut strömte von einem Dutzend Schnitten über sein breites, unrasiertes Gesicht. Er sah an sich selbst herab, dann auf die kläglichen Überreste der Tür.
    »Das hat weh getan«, sagte er sachlich und schien dann nicht weiter daran zu denken. Auch dann nicht, als er einen über fünfzehn Zentimeter langen Holzsplitter aus seinem Schenkel zog.
    Und schließlich hob er die Armbrust und schwang sie. Der Pfeil sah für mich wie ein spitzer Telefonmast aus, als Hürdenspringer auf mich zielte. Es ging nur noch um ihn und mich, und das restliche Pandämonium der Klasse war weit, weit weg.
    Eine Reiche Ernte von Leichen einzubringen. Ich schloß die Augen.
    Ich weiß nicht, wer zuerst schoß. Ich habe das Gefühl, es war der Polizist, denn Hürdenspringer hätte mich auf diese Entfernung nicht verfehlen können. Ich weiß nur, daß ich einen Schuß und das Schnappen der Sehne hörte, und wie ein Luftzug meine Wange streifte und auf der rechten Seite meines Halses brannte, und dann vergrub der Pfeil seinen Kopf in der Tür …
    Und als ich die Augen wieder öffnete, war in der Mitte von Hürdenspringers Brust ein klaffendes Loch, in dem man seine Faust hätte versenken können, und ich sah durch einen roten Nebel, der mit einem Mal die Luft erfüllte. Er fiel vornüber, die Armbrust rasselte zu Boden, und er landete halb auf mir. Die Schreie im Raum wurden zu vereinzelten Seufzern.
    Dann hätte es vorbei sein sollen. Doch in mancher Hinsicht war das, was als nächstes geschah, noch schlimmer. Denn nur ich allein hatte diese Bürde zu tragen.
    Etwas verließ Hürdenspringer, etwas Unsichtbares, das man nur spüren konnte. Und es ging in mich, und ich fühlte mich, als würde ich mich nie wieder davon reinigen können. Ich konnte Mr. Goddards und Hürdenspringers und mein eigenes Blut abwaschen, doch dies war etwas, für das kein Wasser reinigend genug war. Es war, als sei ich im Griff einer kalten, feuchten Hand, schwarz und stinkend.
    Olaf in seinem ganzen Glanz. Und dann war er fort.
    Wir kommen dich holen, hatte er mir einst gesagt.
    Ich wußte, daß er jetzt noch nicht aufgeben würde. Denn ihm ging es gut, und abgesehen von den seelischen Narben ging es auch Aaron und mir gut. Hürdenspringer war fort, aber die drei Hauptfiguren waren noch im Spiel.
    Das letzte, was mir noch bewußt war, waren all die bleichen Gesichter, die in meine Richtung starrten, und das Blut – und Aaron, der etwas weiter entfernt wie eine Statue an die Wand gelehnt saß und ins Nichts blickte.
    Und dann verabschiedete ich mich für eine Weile aus der Welt des Bewußtseins.

Fünfter Teil:
WALLHÖLL
     
37.
     
    Ich wurde ins Krankenhaus gebracht und erlangte auf dem Weg dorthin das Bewußtsein wieder. Mein Hals benötigte sieben

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