Rune
stehen sehen, bewaffnet und gefährlich. Und ich hatte das beunruhigende Gefühl, daß er wußte, was ich dachte.
Ich habe lange, lange Zeit gewartet.
»Komm schon, Val, wach auf.« Ich schüttelte sie leicht. »Wach auf.«
Sie murmelte etwas an meiner Brust, ein verschlafenes Gewimmer.
Ich drückte ihre Nasenflügel zu. »Ich habe Geburtstag. Rede mit mir.«
Val schlug um sich und setzte sich auf. »Du gemeiner Kerl.«
Dann grinste sie und küßte mich und griff ins Handschuhfach. Sie zog einige Packungen Kekse heraus. Fummeln machte sie immer hungrig, weshalb es im Auto immer einen gewissen Vorrat an Keksen gab, die wir in diversen Cafes mitgehen ließen. Ab und an mußte ich mir die Frage stellen, ob sie nicht auch in einem anderen Auto ein solches Depot hatte.
»Wie ist der Job?« fragte sie.
»Ich werd’s überleben. Der Anfang war ziemlich hart. Und du?«
»Ich habe mich auf Fritten spezialisiert.« Wie die Hälfte der Mädchen in der Stadt arbeitete Val im Fast-Food-Bereich. Burger King in ihrem besonderen Fall. »Ich werde am Ende des Sommers so fett sein, daß du nie wieder mit mir ausgehen willst.«
Ich zwickte sie in den Bauch; da war definitiv kein Überschuß. »Bezahle mich nur weiterhin so gut wie heute nacht, und ich bin für immer dein.«
»Nur ein Gigolo«, sagte sie, und ich machte eine Verbeugung.
Wir schwatzten so noch eine Weile, bis sie vorschlug, zurück zu ihr zu fahren. Und als ich dieser Schildwache aus Bäumen vor uns einen Blick zuwarf, schien mir das die beste Idee des Abends zu sein. Wir ordneten unsere Kleider und krochen zurück auf den Vordersitz.
Als wir ankamen, war Valeries Mutter noch auf, machte sich aber schnell rar. Nette Dame. In ihrem Wohnzimmer beschenkte Val mich mit einem Päckchen, das, wie sich herausstellte, einige Platten enthielt, die ich schon lange gesucht hatte. Würde diese Nacht nie enden? Dann schob sie eine Kassette in den Videorecorder, und wir sahen uns einen meiner Lieblingsfilme, National Lampoon’s Animal House, an. Ich lachte, als würde ich ihn zum ersten Mal sehen. Zwei Stunden später standen wir schließlich am Eingang in einer leichten Umarmung.
»Ruf mich morgen oder übermorgen an, ja?« fragte sie.
»Klar. Hältst du mir eine Nacht frei für nächstes Wochenende?«
Schüchtern neigte sie den Kopf; diesen Blick hatte sie erfunden. »Wir werden sehen.«
Wir tauschten Abschiedsküsse, und dann war ich wieder in meinem Auto und fuhr nach Hause. Alles in allem war diese Nacht ein unerwarteter Erfolg gewesen.
Bis jetzt.
Die gesamte Heimfahrt bestand aus Seitenstraßen, engen, kleinen Gassen voller verschlafener Häuser. Viele der Zeilen waren umsäumt von Bäumen, die groß und schattig am Straßenrand wuchsen – eine Umgebung, die Eltern in beständige Sorge versetzt, denn wenn ihr Kind plötzlich hinter einem der Bäume hervor auf die Straße lief, dann konnte ein Autofahrer vielleicht nicht mehr schnell genug bremsen.
Und ich konnte das auch nicht. Die Tatsache, daß er kein Kind mehr war, war kein Trost.
Er trat einfach hinter einem Baum hervor und stand da. In diesem Sekundenbruchteil, da ich wußte, was passieren wird, und mein Herz mir bis zum Halse schlug, sah er fast aus, als wartete er darauf.
Ich trat auf die Bremse, doch es war bereits zu spät. Die Reifen quietschten, und ich lehnte mich mit aller Kraft gegen das Lenkrad, um an ihm vorbeizusteuern, doch die rechte Seite des Kühlergrills und der Stoßstange prallten geradewegs gegen ihn. Er flog zurück wie eine Puppe.
Unmöglich konnte er einen so starken Stoß durch das Auto erhalten haben. Er verschwand außer Sichtweite, als der Wagen zum Stillstand kam.
Mir war in dem Atemzug vor dem Aufprall noch etwas anderes aufgefallen, obwohl es mir erst später wieder einfiel. Irgendwas hatte mit ihm nicht gestimmt. Hinter seinem schweren Schnurrbart war sein Gesicht zu blaß, zu schlaff, und seine Augen zu glanzlos. Seine Bewegungen waren zu ruckartig; doch nicht wie bei einem Betrunkenen oder bei einem Behinderten. Es war anders.
Oh Gott, bitte laß ihn nicht tot sein, bitte …
Ich krallte mich ins Lenkrad und fragte mich, was wohl vor mir auf der Straße lag. Ich mußte es wissen. Einfach weiterfahren konnte ich nicht. Ich mußte mich den Tatsachen stellen.
Du bist jetzt ein Erwachsener, hatte Phil gesagt. Wenn du Scheiße baust, mußt du deinen eigenen Arsch hinhalten.
Doch damit konnte ich nicht umgehen. Nicht damit.
Ich würgte den Motor ab und ließ die
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