Rune
Kleidung, die wir zuletzt an Rick gesehen hatten. Alles umsonst.
Nach dem Wochenende, einen Tag, nachdem White Trash Joe mich über Tri-Lakes aufgeklärt hatte, statteten Phil und ich Ricks Eltern einen Besuch ab. Zu ihrer Haustür zu gehen war einer der schlimmsten Wege, den ich je zurückgelegt hatte, in mancher Weise schlimmer noch als der in das Wäldchen, nachdem Rick geschrien hatte. Denn dieses Mal wußte ich nur zu gut, was mich im Inneren erwarten würde – zwei Menschen, deren Augen ebenso leer aussahen, wie ich mich innerlich fühlte. Seelengefährten, als hätte uns jemand aneinander gekettet und alle Freude, alle Lebhaftigkeit, alle Beseeltheit weggenommen und nur ein paar menschliche Hüllen zurückgelassen, die von den anderen Antworten erhofften und dann doch nur enttäuscht wegsahen. Meine Mutter war schon hier gewesen, aber es hatte nichts gebracht. Ich bin mir sicher, daß sie auf ihre subtile Weise helfen und trösten wollte – aber sie wußte ja nicht einmal, worüber sie die Woodwards trösten sollte. Und so saßen wir alle da. Sprachen ab und zu. Starrten in ein Glas Cola mit Eis. Teilten die Stille. Und dann, nachdem Umarmungen ausgetauscht worden waren, verabschiedeten wir uns. Ohne uns irgendwie besser zu fühlen. Es war, als wären Phil und ich einzig einer Verpflichtung nachgekommen. Ich wußte nicht, ob ich mich dazu beglückwünschen sollte, daß mir das gelungen war, oder mich selbst dafür hassen, weil mir sonst nichts gelungen war.
Doch das Leben geht weiter. Zumindest ist das der Kern jeder Trauerrede. Und nachdem eine Woche verstrichen war, machte ich den Versuch, zu einem mehr oder weniger normalen Alltag zurückzukehren. Ich fühlte mich zwar nicht normal, doch der äußere Anschein macht wenigstens den Anfang.
Valerie und ich gingen Freitag nacht aus. Das war ein gewaltiger Fehler. Der Abend stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Und noch bevor er vorbei war, standen die Dinge um einiges schlechter.
Sie trug keine Schuld daran. Sie wollte mir einen gelungenen Abend bereiten, und den Versuch konnte ich ihr nicht übelnehmen, wenn sie es auch übertrieben hatte. Es fing damit an, daß sie ihre Eltern los wurde und mir Abendessen kochte. Hühnerpastete, grüne Bohnen in Rahmsauce, Baguette. Ich belohnte ihre Mühen damit, daß ich mehr Zeit mit dem Familienhund verbrachte, einem Malamut namens Kodiak, als mit ihr. Kodiak und ich waren immer Freunde gewesen, und er hatte von mir nie gefällige Konversation verlangt. Und so saß ich auf dem Wohnzimmerboden und hielt ihn, während ich Vals Fragen einsilbig beantwortete, manche sogar ziemlich schnippisch. Ich weiß noch, wie ich dachte, daß sie entweder das größte Opfer der Stadt war, dem gelegentliche blaue Flecken auf der Seele nichts mehr ausmachten, oder aber sie hatte die Geduld einer Mutter Theresa.
Vielleicht ist es noch zu früh, dachte ich, als sie den Tisch abräumte, ohne auch nur ein lobendes Wort von mir über das Essen gehört zu haben. Vielleicht sollte ich mich noch etwas einsperren, bevor ich wieder den Alltag probe.
Als nächstes gingen wir ins Kino, um uns den neuesten Triumph Danny DeVitos im Komödienfach anzuschauen. Ich lachte vielleicht ein halbes Dutzend Mal laut. Natürlich dachte ich über andere Dinge nach.
Im Foyer stockte jäh mein Herz, als ich in der Schlange an der Bar jemanden sah, der von hinten wie ein Zwillingsbruder von Rick aussah. Dünne Gestalt, schulterlanges, sandfarbenes Haar. Sicher! Es ergab Sinn; Rick war hier, weil er ein großer Fan von DeVito war. Kleinwüchsige aller Länder, vereinigt euch, und all das. Ich wollte ihn fast schon an den Schultern fassen und zu mir drehen, doch dann wandte der Junge sich von selbst um.
Es war natürlich nicht Rick. Der Junge war gerade mal im Alter für die achte Klasse, mit leeren Augen und Hosenträgern, und für einen Augenblick hatte ich den Drang, den kleinen Bastard zurück zur Theke zu werfen, damit er sich noch mehr Milchshakes holen könnte. Schuldig im Sinne der Anklage, Rick nachgeahmt zu haben.
»Ich bin heute ein richtiges Arschloch, stimmt’s?« fragte ich Valerie, als wir wieder im Auto saßen und losfuhren. Nur die Bekundung einer Tatsache, keine Entschuldigung.
»Ziemlich«, sagte sie freimütig und lachte dann. »Aber damit komm’ ich klar. Ich habe dich schon sturzbetrunken erlebt, und das hier gefällt mir besser.«
»Wenigstens kann man vergessen, wenn man sturzbetrunken ist«, sagte ich. Und es macht
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