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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Typ jede Nacht ’ne Verabredung gehabt. Und nie zweimal mit demselben Mädchen. Ich weiß nicht, wie der das macht. Das hier ist noch nicht mal ein gemischtes Wohnheim. Er muß wohl viel Zeit vor der Tür des Mädchenwohnheims verbringen.« Er lachte und schüttelte traurig den Kopf. »So ist das nun mal. Endlich habe ich daheim eine Freundin, und hier muß ich mit dem Campushengst wohnen.« Phil unterbrach sich lange genug, um seine großen Schuhe auszuziehen. »Aber er ist kein schlechter Kerl, und geizig ist er auch nicht. Er ist ein Psychologiestudent aus Chicago. Deine Mutter würde ihn lieben. Er nennt mich nur ständig Landei.«
    »Da oben halten sie alles jenseits der South Side für die Pampa.«
    Ich spielte einige Momente mit den Krebsen, und Phil schaute mir wie hypnotisiert zu. Als wäre er Lichtjahre entfernt.
    »Vermißt du’s?« fragte ich.
    »Was?«
    »Du weißt schon. Daheim.«
    Phil legte sich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und stieß mit den Knien gegen die obere Koje. »Irgendwie schon, wenn auch nicht allzu sehr, denn mir gefällt’s hier. Nun, Connie vermisse ich sehr, aber alles andere sind nur Kleinigkeiten. Weißt du, was ich meine?«
    »Ich glaube schon.« Kleinigkeiten, das machte Sinn. Dads krachende Fußknöchel kamen mir in den Kopf. Familienstreits. Und wie Mom jedes Stück Alufolie aufhob, das sie je verwendet hatte. Die Kleinigkeiten.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich muß dir sagen, Phil, daß du dich viel besser daran gewöhnt hast als ich. Ich fühle mich die meiste Zeit ziemlich beschissen. Und dabei bist du derjenige, den daheim eine blonde, hellhäutige Göttin erwartet.«
    »Ja, ich glaube, daß sie nicht hier ist, ist der größte Verzicht.« Bislang hatte Phil glücklich und optimistisch ausgesehen und schien guter Dinge zu sein. Doch als er sich jetzt auf seiner Koje wand und die Decke anstarrte, zerstob das alles. »Eigentlich der einzige Verzicht.«
    Seine Augen streiften meine und bemerkten Verwirrung und Besorgnis darin.
    Ich wußte, daß die Dinge nun plötzlich ernst waren.
    »Was hast du, Phil?«
    Er setzte sich auf, beugte sich mit gefalteten Händen nach vorn und starrte auf den Boden. »Wir sind immer ziemlich offen zueinander gewesen, haben uns nichts verschwiegen. Aber … es gibt etwas, das ich nie jemandem erzählt habe. Am wenigsten dir und … dir und Rick. Vermutlich habe ich mich dafür geschämt.«
    Ich ließ ihn für einige Momente still dasitzen.
    Phil schluckte schwer, und sein Adamsapfel hüpfte. »Solange ich denken kann, hat mein Vater mich geschlagen.«
    Die Worte waren schärfer als ein Schlag ins Gesicht und unendlich häßlicher. Ein Großteil von mir versank in einer krankhaften Geschwulst der Leiden, die er in all den Jahren ertragen haben mußte. Ein Leid, bei dem jedes tröstende Wort sich schrecklich trivial anhörte. Ich fühlte auch Schuld, weil ich es nicht herausgehört hatte aus kleinen Anspielungen, die er bestimmt gemachte hatte, unbewußten Bitten um Hilfe. Oh, was für ein Freund ich gewesen war, in der Tat. Ich fühlte mich plötzlich – schmutzig.
    »Mit meiner Schwester war’s genauso. Vermutlich war das auch der Hauptgrund, warum sie schon mit siebzehn geheiratet hat, als du und ich noch in der siebten Klasse waren. Ich denke, sie hat viel Glück gehabt, weil ihre Ehe funktioniert und gut läuft, aber in erster Linie wollte sie einfach von zu Hause weg.« Phil hielt einen Augenblick inne und knetete seine Hände. »Du kennst doch die Narbe auf meinem Rücken?«
    Ich nickte elendig. Ich hatte sie im Sommer vor einigen Jahren beim Schwimmen entdeckt, eine lange, dünne, knotige Furche über seinem Kreuz. Als Rick und ich ihn danach fragten, hatte er uns erzählt, er hätte sie sich zugezogen, als er bei seinem Großvater unter einem Stacheldrahtzaun durchgekrochen sei.
    »Mein Dad hat sie mir zugefügt, als ich noch klein war. Er hatte mich erwischt, als ich mit Streichhölzern spielte. Und dann peitschte er mich mit einer Gerte vom Baum. Zog mir mein Hemd aus und schlug immer auf die gleiche Stelle, wieder und wieder.« Phil lachte nervös. Ich glaube, hätte er das nicht getan, dann hätte er wahrscheinlich geweint. »Das schlimmste daran war, daß ich selbst die Gerte vom Baum abschneiden mußte.«
    Ich balancierte meinen Kopf mit einer Hand und beugte mich vor wie ein Betrunkener kurz vorm Übergeben. »Oh Gott, Phil, warum hast du nie etwas darüber gesagt? Ich versichere dir, daß meine Eltern

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