Rune
sind immer die entscheidenden. Aber so weit, so gut, Schatz. Sie geben ihm ein Medikament, welches das Blutgerinnsel auflöst, das alles verursacht hat.«
Mom ließ unsere Hände los und lehnte sich mit geschlossenen Augen im Stuhl zurück. Jeder Augenblick dieser qualvollen Nacht stand in ihr Gesicht geschrieben. Es ließ sie älter aussehen. Dann öffneten ihre Augen sich und suchten müde nach meinen. »Chris, ich sage dir, ich hatte noch nie solche Angst wie heute abend, als das passiert ist. Wir räumten gerade den Tisch ab, und er …« Mom preßte für einen Moment ihre Augen zusammen, »… ließ einen Teller fallen. Es hörte sich an wie eine Bombe. Er stand da und sah aus dem Fenster. Und dann fiel er einfach zurück auf den Stuhl. Und der Ausdruck auf seinem Gesicht war das Schrecklichste, was ich je gesehen habe. Als wäre ihm schlecht, und als sei er gleichzeitig überrascht und ängstlich.« Sie rümpfte die Nase über diese armselige Wortwahl. »Alles im gleichen Augenblick. Ich hoffe, daß ich in meinem ganzen Leben nie wieder so was sehen muß.«
Ich tätschelte ihre Hand. »In welchem Zimmer liegt er?«
»Vierhundertachtzehn.« Mom wies den Gang hinunter. »Hinter der Schwesternstation.«
»Kann ich ihn für eine Minute sehen? Weißt du, alleine?«
»Schatz, er wird jetzt schlafen. Außerdem sieht er nicht sehr gut aus.«
»Das ist in Ordnung, das macht nichts. Ich will ihn einfach nur sehen.«
»Frag besser erst die Schwester.«
Ich stand auf und ging zur Schwesternstation. Meine Schritte wurden vom Teppich gedämpft. Zwei Schwestern saßen am Schalter, und die jüngere von beiden war mir am nächsten. Auf ihrem Namensschild stand ›Carol Lee, R.N.‹. Als ich auf sie zukam, sah sie mit großen, braunen Augen, die jedem Patienten Trost vermitteln konnten, von einem Stapel Papieren auf.
»Mein Vater liegt dahinten. Anderson.« Ich wies mit dem Kopf in die Richtung seines Zimmers. »Ich würde ihn gerne sehen, wenn das geht.«
»In Ordnung. Aber nur für eine Minute, nicht länger.« Sie kam hinter dem Schalter hervor, und ich folgte ihrem flinken, lautlosen Schritt zu Zimmer 418. Sie schien fast über den Boden zu schweben. Die Tür war zugezogen, aber nicht eingeschnappt. Sie öffnete sie langsam, und das Licht ergoß sich in immer weiterem Bogen in das Zimmer und beleuchtete nach und nach Dad, der auf dem Rücken lag und die Hände zu schlaffen Fäusten auf seinem Bauch geballt hatte.
Ich ging vorsichtig hinein und erinnerte mich an den Abend vor weniger als einer Woche, als wir gemeinsam Holz gespalten hatten, und wie er sich an die Schulter gegriffen hatte, als wir fertig gewesen waren. Ein frühes Warnzeichen? Vermutlich. Und jetzt war seine einzige Bewegung das langsame und flache Heben und Senken von Brust und Bauch.
Mom hatte recht gehabt. Er sah nicht gut aus. Er war an mehr Apparate angeschlossen als eine überlastete Steckdose – Sauerstoffgerät, Kardiogramm, wer weiß, was noch alles. Er schwitzte, und Tropfen perlten auf seinem Gesicht und seiner Stirn. Und als ich im trüben Licht näher kam, konnte ich etwas an seinen Lippen erkennen, geronnen in den Mundwinkeln. Es sah aus wie getrocknetes Blut.
Ich griff nach seiner Hand, die auf seinem Bauch ruhte. Sie war warm und trocken. Warm. Die Härchen sträubten sich unter meinen Fingern. Dad rührte sich nicht, doch das war egal. Die einfache Wärme seiner Hand in meiner war das höchste der Gefühle, das ich erhoffen konnte.
Ich drehte mich um und schloß mich der Schwester an, die in der Tür auf mich wartete. »Vielen Dank. Aber warum hat er Blut am Mund?«
Sie zog die Tür zu, bevor sie antwortete. »Wenn die Lage sich verbessert hat, verabreichen wir ein Medikament namens Streptokinase. Es löst das Blutgerinnsel im Herzen auf. Es hat aber auch Nebenwirkungen. Man schwitzt sehr stark, wie Sie sicher gesehen haben. Man blutet auch. Am Zahnfleisch, im Magen, an den Einstichen der Injektionen. Wir verabreichen andere Medikamente als Gegenmittel, aber die heben die Nebenwirkungen nicht völlig auf.«
»Aber ich muß mir deswegen keine Gedanken machen?«
Sie lächelte zuversichtlich, was zweifellos eine eingeübte Geste war, aber trotzdem noch ehrlich wirkte. »Absolut nicht.« Wir gingen Seite an Seite durch die Station. »Ihr Dad ist wirklich sehr stark. Die meisten Patienten mit Herzinfarkt blenden viel früher aus als er. Er war noch bei sich, als wir ihm Morphium spritzten.«
Ich fühlte eine sonderbare Anwandlung
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