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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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dann kam der letzte, unbeholfene Augenblick in der Einfahrt. Ich umarmte sie der Reihe nach und erhielt letzte Anweisungen, Ratschläge und so weiter.
    Ich stand noch einen weiteren Moment vor ihnen und fühlte mich wie ein Ausgestoßener aus einem winzigen Königreich. »Vermietet mein Zimmer nicht«, sagte ich und stieg dann hinters Lenkrad. Was mir nur mit Mühe gelang, denn mein Auto war bis zum Bersten gefüllt und ließ gerade noch genug Platz für den Fahrer. Ricks Gitarre befand sich auf dem Beifahrersitz, so daß ich den Koffer berühren konnte, wenn mir danach war. Ich fuhr aus der Einfahrt, winkte zum letzten Mal und rollte die Straße hinab. Ich nahm die Route 37 aus der Stadt. Nach ungefähr zwanzig Meilen würde ich westlich Richtung Salem abbiegen und auf die Route 51 fahren. Danach käme die schiere Eintönigkeit, sofern ich nicht unbewußt eine Neigung für Kornfelder entwickelt hatte.
    Die Stadt blieb zurück und gab den Weg frei für die Landschaft, während ich durch die sanften Kurven der Autobahn glitt. Am Himmel kletterte die Sonne höher und brannte immer heißer. Dann bemerkte ich, was vor mir lag: die Landstraße 1250N. Und Tri-Lakes.
    Doch ich hatte es schon vorher gewußt, oder nicht? Gewiß. Vielleicht noch einen Blick, einen Augenblick des Verharrens, bevor ich diesem Ort entkam und ihn hinter mir ließ. Und vielleicht, wenn ich Glück hatte, würde ich Ricks Anwesenheit in der Luft spüren können, denn ich fing an, mir Tri-Lakes als Ricks letzte Ruhestätte vorzustellen. Eine verrückte Idee.
    Als ich darauf zufuhr, sah Tri-Lakes so lieblich und unschuldig wie immer aus. Die Bäume strahlten in hellem Grün, das Gras war saftig, und das Wasser spiegelte den lebhaft blauen Himmel. Keine Probleme hier.
    Oh, wie trügerisch es doch war.
    Ich stoppte den Wagen an unserer alten Stelle und stieg aus. Fünf Wochen der Abwesenheit führten mir vor Augen, wie schlecht der Asphalt mittlerweile aussah, voller Sprünge und Risse, als würde er von unten her zerstört werden. Gras und Unkraut sprossen in den Ritzen.
    Dieser Ort sieht aus wie eine Geisterstadt.
    Der Hain. Ich knöpfte mein Jeanshemd auf, um die Brise besser an mich heranzulassen. Ich ging auf das Wäldchen zu. Blieb stehen. Schritt hinein.
    Der größte Baum sah größer aus als je zuvor, voller Selbstvertrauen. Und ich glaube, ich starrte ihn eine ganze Minute lang an, bevor mir auffiel, was mich dieses Mal an ihm störte.
    Da war ein Umriß im Stamm, einige Fuß über dem Boden, ein Umriß, der aus der Oberfläche der Rinde hervorstand. Wie so viele optische Täuschungen mußte man scharf hinsehen, um es zu erkennen, doch wenn man einmal wußte, wo es war, konnte man es nicht mehr übersehen. Der Umriß hatte seinen eigenen Stamm und zwei Beine und zwei Arme und einen Kopf. Da war eine leichte Vertiefung, wo der Mund sein sollte, wie inmitten eines Schreies gefangen.
    Alle Instinkte rieten mir zu verschwinden und nicht zurückzusehen – doch der Zwang zu wissen überwog den Zwang zu laufen bei weitem. Also suchte ich in meinem Auto ein Klappmesser und benutzte es, um in die Rinde zu schneiden, wo sich die linke Hand abzeichnete. Ganz, wie ich es mir gedacht hatte. Man weiß, daß es eine Ewigkeit dauert, bis Plastik verwest. Es enthält nichts Organisches, nichts Verdauliches wie etwa Fleisch und Knochen und Baumwollkleidung.
    Eingebettet in der Rinde fand ich eine Plastikschiene.

Dritter Teil:
HERRSCHAFT
     
22.
     
    Es ist kein Geheimnis, daß ich gelegentlich mehr getrunken habe, als gut für mich war. Doch ich habe immer dafür bezahlt – mein Kopf drehte sich dann in die eine Richtung und das Zimmer in die andere, und die Selbstbeherrschung glitt mir wie Sand durch die Finger.
    So ähnlich fühlte ich mich, nachdem ich diese schreckliche Anschwellung an dem Baum bei Tri-Lakes entdeckt hatte. Ich rannte aus dem Hain, rannte einfach, und mein Kopf schwirrte im Schwindel. Ich stürzte in meinen Wagen und drückte das Gaspedal durch, bis ich meilenweit entfernt war. Erst dann fing ich an, mich zu entspannen.
    Denn was ich gerade gesehen hatte, war unmöglich.
    Also fuhr ich, fuhr stundenlang, und ließ die Knoten in mir sich lösen und die Anspannung abfließen wie ranzigen Schweiß. Und dann entschied ich, daß es das beste sei, so wenig wie möglich über Tri-Lakes zu sprechen. Man sollte es am besten völlig in Ruhe lassen, denn es war nicht natürlich. Es entzog sich jeder Erklärung. Ich war zu der unbegründeten

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