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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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dich aufgenommen hätten. Oder Ricks.«
    »Wahrscheinlich hab’ ich gedacht, ich müßte alleine damit fertigwerden. Und ich konnte ja mit meiner Schwester darüber reden. Und … immer, wenn ich darüber nachdachte, wollte ich meine Mutter nicht alleinlassen. Er hat nie die Hand gegen sie erhoben, nur gegen meine Schwester und mich, aber ich wollte sie damals nicht einfach verlassen.« Phil zuckte mit den Schultern, wies dann auf seinen Rücken. »Denk’ nicht, daß es immer so schlimm war wie das. Meistens peitschte er mich nur mit seinem Gürtel, oder er schlug mich in die Rippen oder den Magen. Er hat nicht sehr oft Spuren hinterlassen. Vielleicht hatte er Angst, seit all dieses Zeug über Kindesmißbrauch über den Äther ging.« Phil unterbrach sich. »Versteh’ mich nicht falsch. Ich will ihn nicht entschuldigen.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Na, jetzt weißt du’s ja.« Er sah mir zum ersten Mal während dieses Gespräches in die Augen. »Du beneidest mich, weil ich mich so schnell hier eingewöhnt habe? Ich habe dich immer um dein Zuhause beneidet. Es schien alles immer so verdammt stabil zu sein, wie ein Fels. Sie waren immer für dich da.«
    Er hatte natürlich recht. Ich hatte es noch nie aus diesem Blickwinkel betrachtet, denn es war etwas, das ich immer für gegeben erachtet hatte. Doch manchmal braucht man einen symbolischen Schlag ins Gesicht, um zu bemerken, wie glücklich man ist.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Phil«, gab ich sanft zu.
    Er lächelte mich warmherzig an. Gelassen. »Das mußt du auch nicht. Das liegt jetzt alles hinter mir. Das werde ich sicherstellen. Irgendwie.«
    Und ich glaubte ihm.
    Komisch, wie wir beide aus ähnlichen Motiven hier gelandet waren. Wir hatten zwar völlig verschiedene Gründe, doch letzten Endes kam es aufs gleiche hinaus – wir versuchten beide, vor etwas zu entkommen, das man schwer loswerden konnte. Zumindest versuchten wir es.

23.
     
    Der erste Eindruck kann trügerisch sein, doch nach einigen Tagen beschloß ich, daß ich meine Fächer mögen würde. Vielleicht lag es nur an meiner Mutter, aber Psychologie schien am vielversprechendsten zu sein, und der Professor hatte einen großartigen Sinn für Humor. Der Wirtschaftskurs gefiel mir von allen am wenigsten. Trotzdem mochte ich den Professor, wenn vielleicht auch nur aus Mitleid. Er war groß und blaß und hatte ein fleischiges Gesicht, und wenn er nicht so beweglich wie die Vogelscheuche im Zauberer von Oz gewesen wäre, hätte man ihn am besten als leichenhaft beschreiben können. Der Brüller war sein Nachname: Dedman.
    Am frühen Dienstagabend legte ich mich auf meinem ungemachten Bett zurück, um die ersten Kapitel eines Textes für Biologie zu lesen. M*A*S*H, jene immerwährende Erfolgsserie, war gerade auf Gregs Schwarzweißfernseher zu Ende gegangen, und das Bild verging zu einem kleinen Punkt aus Licht in der Mitte des Bildschirms.
    Bislang war alles glattgegangen. Ich hatte alle meine Kurse schnell gefunden, einige Leute und kein wirkliches Arschloch kennengelernt, und die Arbeit erschlug mich noch nicht. Gut. Bis meine Mutter einige Minuten später anrief, um mir zu sagen, daß Dad eben einen Herzinfarkt gehabt hatte.
     
    Ich schaffte die vierstündige Reise in etwas über drei und kam um halb elf im Krankenhaus an. Ich betrat den Empfang, und die Schwester am Schalter informierte mich, daß Dad auf der Intensivstation lag. Ich lief zum Aufzug, meine Beine zitterten und fühlten sich an wie lauwarmes Wasser.
    Mom und Aaron saßen allein in einer Nische im vierten Stock. Mom sah gefaßt aus und hielt die Hände im Schoß gefaltet. Aaron trug noch seine Uniform von Chuck Wagon, und sein Haar stand wirr ab; er hing da mit trüben Augen und bot ein Bild der Erschöpfung.
    Mom sprang auf und lief auf mich zu, um mich zu umarmen. Ich hoffte, daß sie nicht anfangen würde zu weinen, wenn sie alles bislang Geschehene wieder aufwärmen mußte, und sie tat es auch nicht. Eine starke Frau. Ich hatte das immer bewundert.
    »Danke, Chris«, sagte sie, als sie mich noch an den Schultern hielt. »Es war sicher eine schwere Reise nach dem ganzen Tag in der Schule.«
    »Das macht nichts«, sagte ich eine Spur zu brüsk. »Wie geht’s Dad?«
    »Der Situation entsprechend gut.« Mom führte uns zu den Stühlen.
    Aaron und ich saßen ihr zur Seite; sie nahm jeden von uns an der Hand, doch sie sprach mit mir. »Sie können noch keine Vorhersagen machen, Chris. Die ersten zweiundsiebzig Stunden

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