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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Meilenstein war und bedeutete, daß wir nun wieder mit ihm sprechen konnten. Er war mehr oder weniger wach, als wir ankamen, und mir fiel ein Stein vom Herzen. Es ist eine Sache, seinen Vater daliegen zu sehen und zu hören, er sei in Ordnung – aber es ist weitaus besser, wenn er das selbst sagen kann.
    Und als ich durch die Tür kam und unsere Augen sich zum ersten Mal trafen, hätte ich schwören können, daß er wenigstens für einen Moment hundert Prozent besser aussah. Als hätte man ihm eine immense Bürde von den Schultern genommen, die nichts mit der Krankheit zu tun hatte. Ich erinnerte mich daran, wie Mom mir gesagt hatte, daß er als erstes nach mir gefragt habe. Doch ich entschloß, das nicht zu erwähnen. Ich würde es ihm überlassen.
    »Hallo, ihr alle«, sagte er mit schwacher, dünner Stimme.
    Mom küßte ihn auf die Stirn, und ich zog einen Stuhl heran, so daß sie sich neben ihn setzen und seine Hand halten konnte. »Es ist so schön, deine Stimme zu hören«, sagte sie, und ich glaube, da stand sie den Tränen näher als in den Stunden zuvor.
    »Ich wollte zwar Urlaub machen, aber das hab’ ich mir dabei nicht vorgestellt.« Er rollte mit den Augen nach links, wo auf dem Nachttisch eine Vase mit Nelken und Gänseblümchen stand. Eine Karte steckte zwischen den Stengeln. »Das haben mir die von der Arbeit gebracht.«
    »Das ist sehr hübsch«, sagte Mom.
    »Daheim könnte ich mich aber mehr darüber freuen.«
    »Bald. Bald.«
    Er hob langsam seine freie Hand und zupfte an dem Krankenhemd, das er noch immer trug. »Ich würde alles geben, um das hier loszuwerden.«
    Ich trat näher und hob eine kleine Tasche, die ich von daheim mitgebracht hatte. »Und wieviel gibst du dann für einen Schlafanzug?«
    Er grinste. »Ach, Gott segne dich, mein Sohn. Ich wußte, daß du wenigstens für etwas zu gebrauchen bist.« Er nahm den Schlafanzug aus der Tasche und hielt ihn wie einen lange vermißten Freund. »Wann gehst du wieder aufs College?«
    »Ich weiß nicht. Wenn ich morgen früh fahre, kann ich immer noch die Seminare am Nachmittag mitbekommen. Ich habe ja erst zwei Tage verpaßt. Ein weiterer tut auch nicht weh.«
    »Zwei reichen. Deine Mutter kann sich um alles kümmern, mit Aarons Hilfe.« Er zwinkerte. »Mich werdet ihr nicht so bald los.«
    Wir plauderten noch eine Weile, und Dad erwähnte sicher dreimal, wie glücklich er über unsere Anwesenheit sei. Er wurde vor unseren Augen sichtlich müde, seine Lider wurden schwerer, sein Lächeln angestrengter und seltener, seine Stimme leiser. Nach weiteren fünfzehn Minuten war er bereit zu schlafen, und ich war traurig, gehen zu müssen. Ich wußte, daß dieser Abschied ein besonders schwieriger sein würde.
    Wir drückten einander die Hände, und ich beugte mich vor, um seine Wange zu küssen. Seine andere Hand klopfte mir auf die Schulter.
    »Wir sehen uns dann ja am Tag der Arbeit«, sagte ich.
    »Vielleicht bin dann schon zu Hause. Hoffentlich.« Er schluckte schwer.
    Ich richtete mich auf. »Ich liebe dich, Dad. Ich glaube, ich habe dir das nicht oft genug gesagt.«
    Er drückte meine Hand ein wenig fester. »Das gilt auch für mich. Aber – wir haben es schon immer gewußt, nicht wahr?«
    Ich erwiderte den Druck, nicht zu fest. »Natürlich.«
    Er sah mir in die Augen, und in seinem Blick flackerte plötzlich Anspannung auf. Für einen Augenblick befürchtete ich einen weiteren Infarkt, doch es lag kein Schmerz in diesem Blick. Es war Liebe, tief und grundsätzlich. Die Liebe des Opfers. »Sei vorsichtig, wenn du zurückfährst, hörst du?«
    Ich nickte. »Natürlich.« Was hat er nur?
    Auch Mom und Aaron verabschiedeten sich, doch mit weniger Endgültigkeit als ich. Wir fuhren in völliger Stille zurück, und ich bemerkte, wie Mom an ihrer Unterlippe kaute. Gewöhnlich war das ein deutliches Zeichen, daß sie über etwas nachgrübelte, das nicht notwendigerweise erfreulicher Natur war. Mir war das erstmals vor vielen Jahren aufgefallen. Ich wußte dann immer, daß die Hölle los sein würde, wenn Dad nach Hause kam, wenn sie auch kein Wort sagte. Diese geschürzte Lippe war schlimmer als jede Strafe, die sie sich ausdenken konnte. Wenn ich sie so sah, verspürte ich noch immer ein Schuldgefühl.
    Doch ich hatte nichts falsch gemacht. Aaron? Ich würde es schon herausfinden, entschied ich, und ich mußte auch nicht lange darauf warten.
    Mom brachte es einige Minuten nach unser Heimkehr auf den Tisch, nachdem ich im Bad verschwunden war. Sie

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