Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
Vom Netzwerk:
gehört, also ging er zu Fuß.
    »Laß ihn gehen«, sagte Mom. Das Alter war wieder in ihr Gesicht gekrochen. »Laß ihn einfach in Ruhe.«
    Ich wandte mich um zu ihr. »Du kannst ihn doch nicht so gehen lassen.«
    Sie verknotete ihre Finger so eng, daß ihre Knöchel weiß wurden. »Ich bin angeblich so gut darin, mit den Problemen fremder Leute fertig zu werden. Alles scheint für mich immer so einfach zu sein. Aber.« Ein Mundwinkel zuckte nach oben in einem humorlosen Grinsen. »Ich kann noch nicht mal mit meinem eigenen Sohn zurecht kommen. Ich kann nicht … objektiv genug sein. Ich kann nicht …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht mal darum sorgen, was er jetzt tut.«
    »Aber ich kann das«, sagte ich und rannte aus der Haustür und über den Hof auf den Gehsteig. Aaron ging etwa dreißig Meter vor mir, mit den Händen in den Taschen. Ich rannte ihm nach, packte ihn an den Schultern und drehte ihn zu mir um.
    Aarons Mund war nur ein dünner, harter Strich, und seine Augen brannten mir mit Bitterkeit und Groll entgegen. Und vielleicht auch einer Spur Verletztheit.
    »Was zum Teufel soll das eben gewesen sein?« fragte ich ihn, wobei meine Hand noch immer in seine Schulter verkrallt war.
    Er versuchte, sie abzuschütteln, was ihm aber nicht gelang, weil ich noch fester zugriff. Er wimmerte und versuchte, es zu verbergen. »Verpiß dich, Chris. Ich habe dir nichts zu sagen.«
    »Wie wäre es dann zur Abwechslung mal mit Zuhören?« Ich atmete tief ein und fragte mich, was ich als nächstes sagen sollte.
    Ich hatte keine Möglichkeit dazu. Zum ersten Mal überhaupt erhob Aaron gegen mich die Faust.
    Und der kleine Bastard traf auch noch. Natürlich hatte Wendell aus Harden mehr Wucht gehabt, doch die Tatsache, daß es dieses Mal von Aaron kam, glich den Unterschied durch den Überraschungsmoment wieder aus.
    »Du kleine Rotznase!« schrie ich und griff an. Wir stürzten auf den Vorderrasen unser Nachbarn, grunzten, wälzten uns, bearbeiteten uns halbherzig mit den Fäusten und bedeckten unsere Knie und Schultern und Ellbogen mit Gras. Eine ältere Frau fuhr in ihrem Wagen vorbei, und ihr Gesicht zeichnete sich im Fenster wie eine Nahaufnahme im Fernsehen ab, mit offenem Mund und entsetzt.
    Wir brachen zusammen, als ich ihn schließlich in den Schwitzkasten nahm und auf ihn einschlug. Er rollte sich ab und rang nach Luft wie ein Fisch auf Land, und als ich ihm dabei zusah, fühlte ich mich mit einem Mal entschärft. Und beschämt. So schlimm waren wir uns noch nie an die Kehlen gegangen. Ich lehnte mich auf einen Ellbogen und wartete darauf, daß er sich erholte.
    Bald drehte er sich zu mir um, langsam, vorsichtig, und hob einen schützenden Arm vor sein Gesicht.
    »Nimm deinen verdammten Arm runter«, sagte ich. »Ich bin zu müde, um damit weiterzumachen.«
    Er hustete und atmete keuchend ein. Spie aus.
    »Rede vernünftig mit mir, Aaron, ja? Bevor wir wieder diese Kain-und-Abel-Nummer abziehen. Was zur Hölle ist in dich gefahren?«
    »Ich weiß nicht.« Er wimmerte fast. »Ich meine … alle erwarten auf einmal so viel von mir. Ich weiß nicht, ob ich so viel geben kann.«
    Er rupfte ein Büschel Gras aus, und die grünen Fetzen klebten an seinen Fingern. »Du scheinst ja ziemlich gut damit zurechtzukommen.«
    »Na, aber ganz bestimmt bin ich nicht vollkommen, also rede dir nichts ein. Auch von dir verlangt das niemand. Auch nicht Mom und Dad.«
    Er seufzte und legte sich auf dem Nachbarrasen zurück, um in den Himmel zu schauen. Vor Einbruch der Nacht war er tiefblau. Schließlich seufzte Aaron wieder und sagte: »Ich hab’s mir da drinnen ganz schön vermasselt, stimmt’s?«
    »Zweifellos.«
    Er schüttelte ganz langsam den Kopf, und für einen Moment dachte ich, daß wir wohl wie zwei Typen auf einem Gemälde von Norman Rockwell aussahen, die eine Sommernacht genießen. »Es lief alles so gut vor diesem Sommer, oder?«
    »Meistens jedenfalls.«
    »Was zur Hölle ist dann nur passiert?«
    Das konnte ich nicht wirklich erklären. Also klopfte ich Schmutz und Gras von meinen Kleidern, stand auf und hielt Aaron meine Hand entgegen. »Gehen wir jetzt wieder hinein?«
    Er sah nicht so überzeugt aus. »Ich glaube nicht, daß ich Mom jetzt schon wieder ins Gesicht sehen kann.«
    »Es wird aber auch nicht leichter werden.«
    Er riß einiges Unkraut aus, das den Rasen verunzierte, und ließ es vom Wind fortwehen. Zuckte mit den Schultern. »In Ordnung.«
    Wir gingen Seite an Seite heim, und ich

Weitere Kostenlose Bücher