Rune
wollte nur, daß Aaron weiterhin im Steak-Haus arbeitete, während sie und Dad ihre finanzielle Lage abschätzen würden, wenn er aus dem Krankenhaus käme. Und meine Anfangszeit im College sei ja auch noch zu bezahlen. Im übrigen, so fügte sie hinzu, sei es an der Zeit, daß er sein eigenes Geld verdiene. Wenn er schon den Wagen fahren wolle, sollte er wenigstens zu den Unkosten beitragen. Ich erinnerte mich daran, die gleiche Ansprache vor einigen Jahren gehört zu haben. Als sie fertig war, schien die Luft still und schwer. Ein Gewitter stand bevor.
»Das ist nicht dein Ernst.« Aarons Stimme war aus Eis und Stahl.
Du undankbare kleine Rotznase, dachte ich. Mach die Augen auf.
»Doch, Aaron. Ich bin in den letzten Tagen nicht sonderlich zu Witzen aufgelegt gewesen, falls dir das entgangen sein sollte.«
Ein schwerer Seufzer von Aaron und das Geräusch scharrender Füße. Ganz wie auf dem Küchenboden. Ich stand wie angewurzelt im Badezimmer mit dem Handtuch in den Händen, und ich regte nicht einen Muskel. Ich konnte kaum glauben, daß dieser zornige, egoistische Mensch mein Bruder sein sollte.
»Aber weißt du nicht, wie sehr ich diesen Job hasse?« Aarons Stimme wurde höher, hysterischer. »Hast du das im Sommer nicht mitbekommen?«
He, hast du mitbekommen, wie’s deinem Vater geht?
»Du kannst dir einen anderen Job suchen, wenn du nicht bei Chuck Wagon bleiben willst. Finde einen, der dir gefällt.«
Ein kurzes, bitteres Lachen. »Was gibt es schon groß in dieser Stadt? Nur Fastfood und Lebensmittelläden. Eine tolle Auswahl.«
Meine Mutter war schon immer recht ausgeglichen gewesen. Es dauerte lange, bis man sie in Rage brachte. In unserem Fall konnte sie uns einfach mit einem vernichtenden Blick wissen lassen, daß wir zu weit gegangen waren. Mehr als einmal hatte ich gesehen, wie diese warmen, braunen Augen plötzlich hart wurden und in mir den Wunsch weckten, mich unter dem nächsten Fels zu verkriechen. Sie mußte nur selten ihre Stimme erheben, was sicherlich auch an ihrer psychologischen Schulung lag. Daher wußte ich, daß sie außer sich war, als ihre Lautstärke sich mit der Aarons maß.
»Aaron, es ist mir momentan egal, ob du einen Job findest, der dir gefällt oder nicht! Der Punkt ist, daß ich dir gesagt habe, du sollst arbeiten, und verdammt noch mal, das wirst du auch tun. Als dein Bruder so alt war wie du, hat er sich nicht so angestellt. Er hat es gern getan. Warum also kannst du nicht so reif sein wie er? Warum kannst du dich nicht wie ein Mann benehmen?«
»Oh ja, mein Bruder, der große Mann auf dem College.« Seine Stimme war zu einem häßlichen Spott gefroren, und ich hätte ihn dafür schlagen können, daß er so über mich sprach. »Was tut er, um zu helfen? Sucht er sich ’nen Job?«
»Das muß er nicht, noch nicht. Weil er diesen Sommer jeden Morgen um sieben Uhr aufgestanden ist, um zur Arbeit zu gehen. Und seine Situation ist auch ganz anders als deine, Aaron.«
»Und wieso, bitteschön? Ich sehe das nicht so. Einer für ihn, einer für mich. Ihr kümmert euch mehr darum, wie es ihm geht, als um mich!« Aaron schrie jetzt fast.
Und du kümmerst dich nur um dich selbst. Ebenso wie ich es haßte, mir das anzuhören, haßte ich es, zwischen den Stühlen zu sitzen.
»Aaron, wie kannst du das nur denken? Wie kannst du sagen, daß wir uns weniger um dich kümmern?«
»He, ich habe Augen und Ohren. Halt mich bitte nicht für völlig zurückgeblieben.«
»Ich dachte nur, du wärst erwachsen genug, um dieser Familie jetzt etwas zu helfen«, sagte Mom, und ihre Stimme zitterte vor Schmerz und Wut. »Offensichtlich habe ich mich getäuscht. Vielleicht brauchst du noch ein Kindermädchen.«
Eine kurze Pause, in der keiner von beiden ein Wort sprach. Also werde ich wohl nie erfahren, was Aaron tat, welche Geste er machte. Doch was es auch war, es zog eine Ohrfeige nach sich. Ihre Hand klatschte laut auf seine Wange; er schrie auf, und ich wimmerte.
Schritte, schnell und leiser werdend, dann wurde die Haustür zugeschlagen. Aaron, der eine Weile schmollen ging.
Zum Essen ist er wieder da, dachte ich.
Obwohl ich es wollte, konnte ich mich nicht für immer im Bad verstecken. Ich fand Mom am Küchentisch, mit dem Kinn auf ihren Fäusten und geschlossenen Augen. Sie öffnete sie, als sie merkte, daß ich im Eingang stand.
»Du hast es vermutlich mitbekommen«, sagte sie tonlos.
»Ja.« Ein kalter Knoten lag in meinem Magen. Ich wollte zur Haustür. Ich hatte kein Auto
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