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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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konnte meine Augen nicht von jenem Bild mit den beiden Gesichtern lassen. Den beiden glücklichen Gesichtern.
    »Ich sollte wohl den Hintergrund erläutern«, sagte Shelly und nahm einen Schluck Tee, wie um sich zu stärken. »Vor über vier Jahren habe ich die Schule beendet und nicht lange danach einen Job hier gefunden. Ich hätte nie gedacht, so lange hier zu bleiben, aber – ich weiß nicht. Ich habe mich wohl irgendwie eingelebt. Doch das ist eine andere Geschichte. Und ein Teil davon war Dennis. Ich habe ihn vor fast drei Jahren getroffen, und seitdem waren wir mal zusammen und mal nicht. Er trank zuviel, und das mochte ich nicht. Er wollte dann immer streiten, und die ersten fünfzehn Runden ließ ich dann über mich ergehen, was ziemlich dumm war, falls du weißt, wie es ist, mit einem Betrunkenen zu streiten.«
    Währenddessen saß ich stumm da, nickte dann und wann, und zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, daß ich für sie ebenso ein mitfühlender Fremder war wie sie für mich. Sie hielt inne, sah auf von dem Fleck auf dem Boden, den sie die ganze Zeit angestarrt hatte, und schenkte mir ein schiefes, unsicheres Lächeln. Sie rieb sich die Stirn und schüttelte sanft den Kopf.
    »Du mußt ein anständiger Mensch sein«, sagte sie, »wenn ich dir all das persönliche Zeug hier erzähle.«
    Ich zuckte mit den Schultern und erwiderte das Lächeln.
    Mehr Tee. »Aber es war nicht immer schlecht, glaub’ das nicht. Nun, schließlich haben wir sogar darüber geredet zu heiraten. Ich glaube, wir wollten es im Mai tun. Es wäre meine erste Ehe gewesen. Seine zweite, und deswegen war er auch ein bißchen zurückhaltend. Er hatte Angst, die gleiche Geschichte zweimal zu erleben oder so. Wir hatten unsere Probleme, aber wir hatten auch unsere Stärken, und ich dachte einfach nur, laß es uns versuchen und sehen, ob es hinhaut.
    Es war im Juni, und wir waren in seinem Haus. Er lebte ein paar Meilen nördlich der Stadt. Wir hatten wieder darüber gestritten, weil er sich nicht entscheiden konnte, und deshalb fuhr er in der Nacht weg. Er hatte sein Motorrad, um etwas Dampf abzulassen …«
    Ich war mir ziemlich sicher, daß ich wußte, wie das geendet war.
    »Er kam nicht zurück.«
    Shellys Tasse war jetzt leer, und sie wiegte sie langsam in den Händen und starrte sie an, als würde sie erwarten, Dennis Lawton gesund und munter daraus hervorspringen zu sehen.
    Endlich stellte sie die Tasse ab und wandte sich mir zu, um direkt zu mir anstelle des Bodens zu reden.
    »Die Leute vom Sheriff fanden das Motorrad bei Pleasant Hills. Oder Tri-Lakes. Das gefällt mir wirklich besser. Pleasant Hills ist ein viel zu irreführender Name. Sie haben die Seen abgesucht, aber nichts gefunden. Und eine Woche später taucht er auf.«
    Shelly stand abrupt auf und entschuldigte sich. Sie verschwand aus dem Raum, und ich beobachtete ihre geschmeidigen Beinmuskeln beim Gehen. Sie waren nicht sehr braun, sahen aber trotzdem schön aus. Ich hörte, wie sie sich im Badezimmer, das am anderen Ende ihrer Wohnung lag, die Nase schneuzte. Bald war sie zurück. Ihre Augen waren leicht gerötet, und sie hielt ein zerknülltes Taschentuch in der Hand.
    »Ich bin eine lausige Gastgeberin«, sagte sie. »Ich habe dir noch nicht mal ein Getränk angeboten. Kann ich dir was bringen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Danke, nein.« Ich wollte nur das Ende ihrer Geschichte hören, und sie fuhr rasch fort.
    »Nach dem Begräbnis nahm ich Urlaub von der Arbeit. Unbezahlten, aber ich brauchte ihn, und sie ließen mich gehen. Ich fuhr für einige Wochen heim, zurück nach Kansas City. Dort habe ich viel vergessen. Als ich zurückkam und die verpaßten Nachrichten aufarbeitete, stieß ich auf die Sache mit deinem Freund. Und auf die Stiefel, die sie aus dem Teich gefischt hatten. Und ich erinnerte mich an deinen Namen. Es konnte alles kein Zufall sein, weißt du?«
    Ich nickte.
    »Ich hatte gehofft, du könntest mir helfen, das, was Dennis zugestoßen ist, besser zu verstehen. Aber es sieht nicht so aus, als würdest du die Sache viel besser als ich begreifen.«
    »Nein, nicht wirklich«, sagte ich und starrte auf den Boden, wie sie es noch vor einigen Minuten getan hatte. Es stimmte, mein Verständnis übertraf das ihre nicht. Aber ich verschwieg ihr etwas, oder? Doch die Bruchstücke, an die ich mich klammerte, machten die Lage nicht einfacher – sie würden das Puzzle nur vergrößern.
    Shelly stand auf und ging zum Regal, berührte stumm hier und da ein

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