Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
Vom Netzwerk:
Bild oder eine Nippesfigur. Ich fragte mich, welche Erinnerungen das wohl bei ihr auslöste.
    »Irgendwann komme ich vermutlich darüber hinweg. Vermutlich kann ich mich davon überzeugen, daß es besser war, nicht geheiratet zu haben. Daß die Dinge nicht so gut zwischen uns standen. Ich kann mich daran gewöhnen.« Shelly drehte sich wieder zu mir um, und ihre Augen blickten in gespenstische Fernen. »Aber falls ich nie begreife, was passiert ist und warum das zwischen Dennis und mir so enden mußte, dann weiß ich nicht, ob ich es je so loslassen kann, wie ich es sollte.«
    Ein größeres Puzzle. Ich glaubte nicht, daß meine letzten Trümpfe zu einem besseren Verständnis unserer selbst oder zu ihrem Wohlbefinden beitragen konnten – aber zum Teufel damit. Ich hatte diese Bürde lange genug allein auf den Schultern getragen.
    »Ich muß noch was hinzufügen«, sagte ich langsam. »Ich bin dir nicht böse, wenn du mir gleich ins Gesicht lachst, denn ich weiß, wie sich das alles anhört. Doch als erstes – ich schwöre bei meiner Seele, daß niemand Dennis’ Körper vor mein Auto geworfen hat. Ich weiß, was die Polizei sagt, und ich weiß, was der Leichenbeschauer sagt, aber niemand von denen war in dieser Nacht dabei. Er ist gelaufen.« Dann erzählte ich ihr, was er anschließend getan hatte, bevor er für immer regungslos wurde.
    Ich wartete auf den Ausbruch, der sicher kommen würde – Zorn, Vorwurf, Gelächter, die Aufforderung, sofort ihre Wohnung zu verlassen. Nichts davon. Sie runzelte nur leicht die Stirn, was für einen Augenblick noch schlimmer war, als würde sie mich noch ermutigen.
    »Was noch?« Das war alles, was sie sagte.
    Ich schloß sanft die Augen. »Es hörte nicht auf mit Ricks Verschwinden. Da war noch mehr. Träume – oder Halluzinationen, wie man sie auch nennen könnte.«
    Die Axt? Sollte ich das auch erzählen?
    »Ich möchte das jetzt nicht in allen Einzelheiten erläutern, noch nicht. Aber mit dem Schlimmsten von allem lebe ich jetzt seit drei Wochen. Ich habe Rick gefunden.« Ich öffnete die Augen und erzählte ihr von dem Zustand, in dem er sich jetzt befand. »Es ist egal, ob du mir das glaubst oder nicht. Du kannst hinfahren und es dir mit eigenen Augen ansehen.«
    Es war heraus, was das auch hieß. Die meisten meiner Karten lagen deutlich sichtbar auf dem Tisch, und ich fühlte eine sonderbare Erleichterung darüber. Shelly betrachtete mich einen langen Moment mit kühlen, wachsamen Augen. Sie griff nach ihrer leeren Tasse und rollte sie wieder zwischen den Händen.
    »Viele Leute haben mich schon angelogen«, sagte sie. »Bei der Arbeit und auch so. Aber ich glaube nicht, daß du einer von denen bist. Zumindest glaubst du selbst das, was du da erzählst, und du hättest nichts davon, wenn du lügen würdest.«
    »Was, glaubst du, ist es?« fragte ich.
    (Wikinger.)
    Sie dachte über die Antwort nach, öffnete den Mund, um vermutlich etwas wie ›Ich weiß nicht‹ zu sagen, schloß ihn aber wieder. Schließlich zuckte sie hilflos die Schultern. Sie sah elend aus. Geschlagen und betrogen.
    »Es ist weit mehr als eine Reihe von Zufällen und Hysterie, soviel weiß ich«, sagte ich und versuchte zum ersten Mal, das in vernünftige Worte zu fassen. »Bis vor kurzem hätte ich das noch glauben können, aber seit ich Rick gefunden habe …« Meine Stimme wurde brüchig. »Es ist alles so zielgerichtet, alles scheint sich auf mich zu konzentrieren. Und es kommt mir so vor, als würde es sich Zeit lassen, bis alles bereit ist.«
    (Die Wikinger kommen.)
    »Du weißt mehr darüber als ich«, flüsterte sie schwach. »Aber wenn das stimmt, dann tust du mir leid.«
     
    Am nächsten Nachmittag, nachdem ich im Geist die Unterhaltung mit Shelly wieder und wieder durchgegangen war, bis ich hätte schreien können, fing etwas anderes an mir zu nagen an. Ich erinnerte mich in völliger Klarheit an etwas, das Mom erwähnt hatte, als sie an jenem ersten Morgen nach Dads Herzinfarkt aus dem Krankenhaus gekommen war.
    Er war seit einer knappen Woche wieder daheim, und das letzte, was ich wollte, war etwas zu sagen, das ihn erregen könnte. Doch ich mußte es wissen. Ich versuchte, es damit zu rechtfertigen, daß ich etwas erfahren könnte, was uns allen von Nutzen wäre.
    Ich fand ihn allein im Wohnzimmer, wo er sich mit ernster Miene ansah, wie Godzilla Tokyo zertrampelte. »Ich kann dich auch allein lassen, wenn du willst«, sagte ich. »Das sieht ziemlich anspruchsvoll aus.«
    Er nickte.

Weitere Kostenlose Bücher