Rune
von mir dachte, es war vermutlich nicht allzu erhaben.
»Du stellst dein Licht ziemlich oft unter den Scheffel, weißt du das?« sagte sie. »Was du auch durchmachst, ich denke, du hältst dich ziemlich gut. Und das ist doch was.« Und dieses Mal fragte ich mich, ob sie wohl jemanden am Telefon lächeln hören konnte.
32.
Brief von Aaron,
datiert Freitag, 21. November:
Chris,
Grüße von der Heimatfront. Ich glaube, mir geht’s wieder besser, aber ich fange an, in der Schule echt durchzuhängen. Ich weiß nicht, warum, aber ich kann mich einfach nicht mehr konzentrieren. Am Montag schrieben wir einen Test in amerikanischer Geschichte, und ich bin fast daran erstickt, konnte gar nichts tun. Heute haben wir den Test zurückbekommen, und jetzt rate mal: meine allererste 4. Und eine Notiz von der Lehrerin, in der sie mich fragt, was mit mir los sei. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, wenn sie mich das persönlich fragt.
Weißt Du, wir haben gar nicht mehr geredet nach dem letzten Freitag, als Du zu Hause warst, aber ich war dazu auch nicht in der Stimmung. Jetzt weiß ich, was Du im Sommer durchgemacht hast. Morgens ist es am Schlimmsten, wenn man aufwacht und weiß, daß es kein Alptraum sondern Wirklichkeit ist. Es ist jetzt einen Monat her, und manchmal, wenn das Telefon klingelt, erwarte ich immer noch, daß Bobby dran ist. Oder ich stehe auf dem Parkplatz vor der Schule, und jemand fährt mit einem Auto vorbei, das wie seines aussieht, und ich denke: »Oh, da ist Bobby, das war aber auch Zeit.« Verrückt, was? Ich verstehe jetzt, wie tapfer Du im Sommer warst. Ich bin nur froh, daß es nicht mein Bruder ist, den ich verloren habe.
Da ist noch ein Standpunkt von Dir, den ich endlich zu schätzen weiß. Ich verstehe, warum Ihr Hürdenspringer nie gemocht habt. Erst habe ich mich aus Berechnung mit ihm abgegeben, und dann dachte ich: »Na, vielleicht ist er gar nicht so schlecht, wenn man ihm eine Chance gibt und einige seiner widerwärtigen Eigenheiten übersieht.« Zumindest schien er ein treuer Freund zu sein, was ich gut fand, und Du weißt, daß er es sich nicht leisten kann, die paar, die er hat, auch noch zu vergraulen.
Aber er ist jetzt anders, und er macht mir angst. Es ist, als käme jetzt sein Inneres zum Vorschein, und in ihm ist es einfach schrecklich. Du hast mehr Einblick in Menschen als ich, vermutlich weil Du mehr Zeit mit ihnen verbringst. Ist das der Grund, warum Du ihn nie mochtest?
Ich erzähle Dir, was passiert ist. Gestern abend bin ich mit Hürdenspringer und Mitch ausgegangen, und wir haben uns mit Sue und Mary getroffen. Wir sind natürlich noch immer fertig wegen Bobby. Es ist, als würden wir so tun, als wäre nichts geschehen, und jeder weiß, daß der andere nur so tut. Aber Hürdenspringer ist ganz der alte. Er hat sogar Witze über tote Babys gerissen. Hürdenspringer ist gefahren, und er hat Mary gesagt, sie solle sich neben ihm auf den Vordersitz setzen, allein. Er fuhr uns rauf nach Tri-Lakes. Ehrlich, Chris, ich hab’ versucht, ihn zu überreden, anderswohin zu fahren, auf einen schönen, ruhigen Friedhof zum Beispiel. Aber er hat nur gelacht und mich Weichei genannt. Dieser Ort zieht ihn an wie ein Magnet. Also hat er dort angehalten und den Arm um Mary gelegt, und als er versucht hat, sie zu küssen, hat sie ihn weggestoßen, und er war richtig sauer. Er greift nach ihr, und wir hören etwas reißen, und sie schreit und er grapscht. Es war schrecklich. Mitch mag Mary, und er und ich greifen uns Hürdenspringer, um ihn zu beruhigen, aber um ehrlich zu sein, wollte ich viel lieber weglaufen und ihn nie wiedersehen.
Als wir ihn an den Armen faßten, dachte ich, er würde uns umbringen, aber dann hat er nur gelacht und gesagt: »Was ist los mit euch? Versteht ihr keinen Spaß mehr?«
Mitch und ich lachten, oder versuchten es zumindest, und sagten: »Klar, Chuck, natürlich können wir das.«
Sonst ist nicht mehr viel passiert. Ungefähr eine Stunde später haben Sue und Mary Hürdenspringer schließlich dazu überredet, sie zurückzufahren. Ich wette, daß sie uns nie wieder sehen wollen. Dieses Arschloch. Obwohl, schon komisch … später ist er wirklich entsetzt über sich selbst gewesen. Er hat fast angefangen zu heulen. Was für ein Psycho.
Seitdem habe ich ihn nicht gesehen. Er hat heute abend angerufen, doch Dad hat für mich gesagt, ich sei nicht da. Gott, es ist Freitag nacht und ich muß nicht arbeiten, und trotzdem will ich nicht aus dem
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